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Sonntag, 19. Oktober 2025

»Die Ermittlung« von Peter Weiss


Es war das bis dahin grösste Gerichtsverfahren der deutschen Nachkriegsgeschichte: Am 20. Dezember 1963 begann der erste Auschwitz-Prozess im Plenarsaal der Frankfurter Stadtverordnetenversammlung. Angeklagt waren 21 Mitglieder der Wachmannschaften des Konzentrationslagers Auschwitz wegen Mordes oder Beihilfe zum Mord. Insgesamt wurden 360 Zeugen befragt. Sechs Beschuldigte erhielten nach einem über zweieinhalbjährigen Prozess lebenslange Zuchthausstrafen. Drei Angeklagte wurden freigesprochen.
Der Prozeß endete im August 1965. Zwei Monate später wurde der Prozeß in einem Theaterstück bearbeitet.

»Die Ermittlung« ist ein Theaterstück des Dramatikers Peter Weiss von 1965, das den ersten Frankfurter Auschwitzprozess von 1963 bis 1965 mit den Mitteln des dokumentarischen Theaters thematisiert. Es wurde am 19. Oktober 1965 im Rahmen einer Ring-Uraufführung an fünfzehn west- und ostdeutschen Theatern sowie von der »Royal Shakespeare Company«, London, uraufgeführt. Die Ermittlung trägt den Untertitel „Oratorium in elf Gesängen“. Weiss selbst nahm als Zuschauer am Auschwitzprozess teil und entwickelte sein Stück aus den Protokollen Bernd Naumanns.

Das Theaterstück »Die Ermittlung« des deutsch-schweizerischen Schriftstellers Peter Weiss (1916 - 1982) hat den Auschwitz-Prozess in Frankfurt am Main (Dezember 1963 - August 1965) zum Inhalt. Das Bühnenspiel, es wird dem dokumentarischen Theater zugeordnet, wurde 1965 gleichzeitig an 15 Orten uraufgeführt. Von der Rampe bis zur Todeskammer, in einem "Oratorium in 11 Gesängen" lässt Peter Weiss die Vertreter der Anklage und der Verteidigung, die Angeklagte und Zeugen über die "Hölle auf Erden", meint Auschwitz, verhandeln. Die von den Nationalsozialisten maschinell betriebene Tötung von Millionen völlig unschuldiger Menschen bleibt unfassbar.

Die Ermittlung sollte Teil eines umfassenderen „Welttheater“-Projekts werden, das der Struktur der »Göttlichen Komödie« von Dante Alighieri folgte. Das dreiteilige Dramenprojekt sollte die Jenseitssphären Hölle, Paradies und das dazwischen liegende Fegefeuer umfassen. In Umkehrung der Überzeugungen Dantes sollte »Die Ermittlung« dabei dem „Paradiso“ der Dante-Konzeption entsprechen und das Paradies der Ort der Verzweiflung für die Leidtragenden sein.

Das 1964 verfasste Drama »Inferno«, das erst 2003 aus dem Nachlass publiziert wurde, führte das abzubildende Jenseitsreich auch im Titel. Aufgrund der zeitgeschichtlichen Bedeutung des Auschwitz-Prozesses wurde das Divina-Commedia-Projekt jedoch zurückgestellt und der dritte Teil als Die Ermittlung separat veröffentlicht.

Das Stück stellt die Aussagen der von Weiss anonym gehaltenen Zeugen denen der namentlich genannten Angeklagten KZ-Aufseher gegenüber. Die Aussagen der Zeugen bieten einen Einblick in die Grausamkeit des Lagerlebens und die Details der Greueltaten, sie öffnen den Blick auf das nackten Grauen. Demgegenüber wirken die Rechtfertigungs- und Distanzierungsversuche der Angeklagetn angesichts der Faktenlage zynisch und die decken die Widersprüche in den Aussagen schonungslos auf.

Literatur:


Die Ermittlung
von Peter Weiss


Die Ermittlung
von Peter Weiss

Samstag, 18. Oktober 2025

»Das Versprechen« von Friedrich Dürrenmatt

Das Versprechen

Der Kriminalroman »Das Versprechen« von Friedrich Dürrenmatt mit dem Untertitel »Requiem auf den Kriminalroman« wurde 1958 veröffentlicht.

Hauptfigur des Buches ist Kommissar Matthäi. Nachdem er als Polizist von dem Mord an dem Mädchen abgezogen wurde, ermittelt er eigenmächtig an dem Fall weiter. Der Fall lässt ihn nicht los. Er findet heraus, dass es sich um einen Serienmörder handelt. Nach dem Mord verspricht Matthäi der Mutter des Kindes den Täter zu finden, daher kommt auch der Titel »Das Versprechen«.

Eigenmächtig verfolgt er zwischen Zürich und Graubünden einen Serienmörder, der kleine Mädchen tötet. Er stellt ihm eine Falle, doch ein Zufall vereitelt seinen Plan: Der Täter stirbt bei einem Autounfall, wovon Matthäi nichts erfährt. In den folgenden Jahren treibt ihn das sinnlose Warten auf den Mörder in die Alkoholabhängigkeit und den Stumpfsinn.

Die Binnenerzählung beginnt gegen Ende des Zweiten Weltkriegs und reicht wie die Rahmenhandlung bis in die Gegenwart des Erscheinungsjahres des Romans.

»Der Hauptmann von Köpenick«


»Der Hauptmann von Köpenick« von Carl Zuckmayer ist »Ein deutsches Märchen in drei Akten«, wie es im Untertitel heißt. Mit viel Humor und in Berliner Mundart sowie im Kasino-Jargon der Offiziere hält Carl Zuckmayer den Deutschen einen Spiegel vor: Menschliche Werte werden dem Militarismus und der Obrigkeitshörigkeit geopfert.

"Der Hauptmann von Köpenick - Ein deutsches Märchen" ist eine Tragikomödie - von Carl Zuckmayer von Anfang September bis November 1930 geschrieben. Sie beruht teilweise auf wahren Begebenheiten, welche der Autor in seiner Geschichte aber etwas ausgeschmückt hat.

In jungen Jahren ist Wilhelm Voigt auf die schiefe Bahn geraten und landet hinter Gittern. Nach seiner Entlassung beschließt er, endlich ein ehrliches Leben zu führen. Doch Wilhelm Voigt hat keinen Paß. Seine ständigen Versuche, sich Papiere zu beschaffen, bringen ihm immer wieder in Schwierigkeiten.

Zufällig stöbert er eines Tages in einem Trödlerladen und findet dort eine alte Hauptmanns-Uniform. Er gibt einer Garde den Befehl ihm nach Köpenick auf's Rathaus zu folgen. Dort verhaftet er den Bürgermeister und den Stadtkämmerer, um sich in Ruhe einen Paß zu beschaffen. Doch auch hier hat er keinen Erfolg.
Kurzerhand beschlagnahmt er die Stadtkasse und flieht. Der Hauptmann von Köpenick wird zum Tagesgespräch. Man sucht den Übeltäter, doch der Schuster stellt sich freiwillig. Im Zweikampf mit den Behörden ist er ein alter Mann geworden - aber der Held seiner Zeit.

Das Stück war ein gigantischer Erfolg in der Weimarer Republik und wurde noch im Jahr seiner Uraufführung zum ersten Mal verfilmt. Von den Nationalsozialisten wurde das Stück sowie Zuckmayers Werk überhaupt 1933 verboten und erlebte erst nach dem Zweiten Weltkrieg eine Renaissance.

Literatur:

Der Hauptmann von Köpenick
Der Hauptmann von Köpenick
von Carl Zuckmayer

»Das Versprechen« von Friedrich Dürrenmatt

Der Richter und sein Henker



Das Versprechen

»Das Versprechen« ist ein Kriminalroman von Friedrich Dürrenmatt und ein Reqiem auf den Kriminalroman mit dem Kommissar Matthäi in der Hauptrolle - bekannt geworden in der Verfilmung »Es geschah am hellichten Tag«.

Eigentlich sollte sich Kommissar Matthäi, der auf der Höhe seiner Karriere angelangt ist, zum Flug nach Jordanien fertigmachen, um dort ein ehrenvolles Amt zu übernehmen. Da erreicht ihn ein Anruf aus Mägendorf, einem kleinen Ort bei Zürich. Ein ihm unbekannter Hausierer teilt ihm mit, er habe im Wald die Leiche eines grausam verstümmelten Mädchens gefunden. Obwohl Matthais Abflug kurz bevor steht, fährt er nach Mägendorf und verspricht den Eltern des Kindes nicht zu rasten, bis er den Täter entlarvt hat.

Der Autor schafft den grandiosen Spagat, einerseits eine packende Kriminalgeschichte zu erzählen und andererseits das Genre Krimi - und dessen impliziten Ideologie einer durch Logik und Vernunft regelbaren Welt - zu kritisieren. Mit wenigen erzählerischen Pinselstrichen schafft er eine dichte und beklemmende Atmosphäre. Dürrenmatt hält sich an seine eigene Maxime für Schauspiele, dass es immer mit der denkbar schlechtesten Lösung enden muss. Wer Dürrenmatts Maxime kennt, der weiß auch, wie das Kriminalstück ausgeht:

Eine Geschichte ist erst dann zu Ende erzählt,
wenn sie ihre schlimmstmögliche Wendung genommen hat.

Ein Meisterwerk. Der Abgesang auf den Kriminalroman ist wärmstens zu empfehlen. Er ist wunderbar geschrieben - halt ein Dürrenmatt. Und dass der Schluss anders ausfällt als im Film »Es geschah am hellichten Tag«, ist insofern logisch, als hier nicht die Auflösung des Falles im Mittelpunkt steht, sondern das Versprechen und der Ermittler, der das Versprechen gegeben hat. Am Schluss regiert halt der Zufall und nicht die Ermittlungslogik.

Literatur:

Das Versprechen
Das Versprechen
von Friedrich Dürrenmatt

Samstag, 27. September 2025

»Farm der Tiere« von George Orwell

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George Orwell den als Satire geschriebenen Roman »Farm der Tiere« (»Animal Farm«) im Jahr 1945 veröffentlicht. Der Roman gilt als Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion, bei der auf die vom Volk getragene Februarrevolution letztlich die diktatorische Herrschaft Stalins folgte. In der DDR durfte das Buch, wie auch alle anderen Werke Orwells, nicht erscheinen, und sein Besitz konnte strafrechtliche Folgen haben.

Zu Beginn des Romans vertreiben die unterdrückten Tiere den Bauern vom Hof und übernehmen selber die Macht. Sie genießen ihre neue Freiheit und geben sich eine Verfassung, die mit den Worten "Alle Tiere sind gleich" beginnt.

In der Orwellschen Satire schwingen sich die Schweine nach der Revolution gegen den Bauern als die intelligenten Tiere zur Regierung auf. Dabei ufern ihre Zusammenkünfte immer mehr in Orgien aus, während sie den anderen Tieren immer härtere Arbeit aufbürden.

Die schöne Utopie der Tiere wandelt sich jedoch in ein despotisches Regime, als die Schweine die Macht auf dem Hof an sich reißen und die anderen Tiere unterdrücken.

George Orwell hat mit seinem satirischen Werk (Gesellschaftssatire) wirklich großartige Arbeit geleistet, den Werdegang Russlands angefangen von der Oktoberrevolution bis hin zum Beginn des Kalten Krieges als eine Fabel niederzuschreiben, die auf einem Bauernhof in England spielt.

Der Zar, der in der Geschichte der Bauer Jones ist, lässt seine Tiere fast verhungern, das Leben ist furchtbar und die Tiere sind Sklaven der Menschen. Der alte Eber Old Major (im Original Lenin/ Marx) ruft zur Revolution auf und nach seinem Tode kommt es tatsächlich so, dass die Tiere es schaffen, die Menschen zu vertreiben. Die Herrenfarm wird zur Farm der Tiere. Und genau an dem Zeitpunkt, an dem die Schweine die Führungsposition übernehmen, weil sie die Klügsten auf der Farm sind, beginnt der eigentliche Werdegang. Debatten werden abgehalten, die Tiere beginnen sind für sich selbst verantwortlich, müssen sich aber auch gegen die Menschen von den Nachbarfarmen zur Wehr setzen, die sich mit Jones verbündet haben.

An diesem Punkt scheint noch alles glanzvoll und prächtig. Die Tiere sind glücklich, es gibt genug zu essen und die wichtigsten sieben Gebote werden auf der Wand schriftlich für alle lesbar festgehalten (Problem ist nur, dass kaum ein Tier lesen kann). Nach der Vertreibung des Schweins Schneeball übernimmt Napoleon (Stalin) die Führung und lässt u.a. eine Windmühle bauen. Von da an verschlechtert sich alles. Die Tiere bekommen immer weniger zu essen, müssen mehr arbeiten und die Gebote werden nach und nach zugunsten der Schweine verändert, die dafür immer mehr zu essen bekommen. Wer sich auflehnt, wird mit dem Tode bestraft und selbst als es zu grausamen Hinrichtungen kommt, wehrt sich keines der Tiere. Denn sie glauben fest daran, dass sie immer noch besser dran sind als zu Jones' Zeiten.

Was unfassbar und unverständlich erscheint, ist bedauerlicherweise Realität und wenn man dieses Werk durchliest, gerät man schon ins Nachdenken. Ist es wirklich so einfach, als Klügerer unter anderen Menschen die Macht an sich zu reißen und mithilfe von Propaganda, Medienfälschung und Manipulation eine Idee für eine Perfekte Gesellschaftsform in eine derartige Katastrophe zu verwandeln, dass die Schweine im Nachhinein nicht anders als die Menschen sind? Warum wehrt sich niemand und warum will niemand auf der Farm Napoleons grausame Herrschaft in Frage stellen?

Dieses Werk ist das perfekte Beispiel dafür, wie aus einer guten Idee das glatte Gegenteil wird. Und es passiert immer und immer wieder. Wer hinter den Kulissen der Fabel "Farm der Tiere" blicken und unter den verschiedenen Tierrassen auch die verschiedensten Arbeiter- und Standesklassen erkennen kann, der weiß, was mit ihnen passiert. Die Arbeiterklasse der Pferde schuftet sich zu Tode oder wird, wenn sie unbrauchbar wird, an den Metzger verkauft. Die geschickten Redner der Schweine nutzen die Macht und den Einfluss der Propaganda, um jeden Zweifel im Keim zu ersticken, alle im Glauben zu lassen, dass alles besser ist als vorher und dass alles seine rechten Wege geht.

Die Farm der Tiere, eigentlich eine Fabel basierend auf historischen Ereignissen, ist ein sehr gut veranschaulichtes Bild davon, wie sich unsere entwickelten Gesellschafts- und Politikformen zum Negativen entwickeln und wir es nicht bemerken bzw. schweigend hinnehmen oder einfach leugnen. Ich kann dieses Buch besonders jenen Lesern ans Herz legen, die sich mit Politik und auch den historischen Werdegang Russlands interessieren. Man muss allerdings auch gerne Fabeln lesen können, denn nicht jedem gefällt es, hauptsächlich nur über Tiere zu lesen, die sprechen und schreiben können. Für Kinder ist dieses Buch allerdings nicht geeignet. Sie würden vieles nicht wirklich verstehen und es kommen zum Teil auch grausame Szenen vor, wie zum Beispiel die blutige Hinrichtung von Aufständischen und politischen Gegnern.


Literatur:

Farm der Tiere
Farm der Tiere
von George Orwell

Samstag, 20. September 2025

»Ansichten eines Clowns« von Heinrich Böll


»Ich bin ein Clown, im Augenblick besser als mein Ruf.« Hans Schnier, einst ein gefragter Pantomime und Spaßmacher, sitzt, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, zum Bettler degradiert auf den Stufen des Bonner Bahnhofs.

Hans Schnier möchte lieber Clown sein als ein Angepasster an Gesellschaft und katholische Kirche. Er lebt in sog. wilder Ehe mit Marie, die ihm Lebenselixier ist. Marie verlässt ihn, weil er sich nicht darauf einlässt, künftige Kinder, die aus der Beziehung hervorgehen könnten, katholisch zu erziehen. Er mag sich dem Diktat dieser Kirche ebenso wenig unterwerfen wie dem der sog. Gesellschaft der Macher in Wirtschaft und Politik.
Die Beziehung von Schnier mit Marie war ja sozusagen sehr katholisch: Was Gott im Himmel gebunden hat soll der Mensch nciht scheiden". Ein bisschen ausstossen und aus den eigenen Reihen verbannen ging schon. Man könnte da ein paar Begriffe sorglos hinterfragen, weil möglicherweise nichts dahinter ist als reine Leere.
Marie verlässt ihn und heiratet einen "fortschrittlichen" Katholiken. Für Schnier beginnt eine Abwärtsspirale als Spassmacher und so endet er auf der Treppe des Bonner Bahnhofs als Bettler.

Deutschland nach dem Krieg. Die Löcher der Bomben wurden gestopft, die Wirtschaft brummt wie ein geölter Motor, sogar die gesellschaftliche Ordnung ist wiederhergestellt. Die Schuld, sie ist allgegenwärtig. Wie kann es sein, dass alle einfach weitermachen, dass die alten Nazis sich jetzt Katholiken und Philanthropen nennen?

Klafft nicht in ihrer Mitte ein gigantisches Loch der verlorenen Menschlichkeit?
Gibt es überhaupt ein weiter nach dem Ende? Ein Spiel - es ist alles ein Spiel, alles Fassade und keinen stört's, außer Hans. - Hans ist Clown, Hans kann nicht so weitermachen, für Hans ist immer noch alles kaputt.

Literatur:

Ansichten eines Clowns
»Ansichten eines Clowns
von Heinrich Böll

»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch« von Jean Paul


Es ist ein Reisebericht, in dem der Luftschiffer, Jean Paul als dessen Sprachrohr, die Montgolfiere aufsteigen lässt, zu fantastischen, skurrilen Ausflügen über Deutschland, bis in die Schweiz und die Schweizer Berge. Dabei schaut Giannozzo, über den Dingen schwebend, jedoch noch nah genug, um alles Wesentliche zu sehen, mit einem spöttischen, höhnischen, teilweise auch beseelten, ja extrem sentimentalen Blick auf seine Zeitgenossen und karikiert den damaligen kleinbürgerlichen, ich-bezogenen Zeitgeist.


Die Luftschiffausflüge entstehen in der Imagination und sind Zeugnis dafür, dass der Autor sowohl unter der Betrachtungsweise, Metaphorik als auch Mystik, seiner Zeit weit voraus war. Jean Paul erweist sich darüber hinaus auch in diesem Werk wieder einmal als ganz genialer Sprachschöpfer, als Meister des ironischen, satirischen und humoristischen Sprachstils.

»Noch sonnen die goldgrünen Alpen ihre Brust, und herrlich arbeiten die Lichter und die Nächte in den aufeinander geworfenen Welten der Schweiz durcheinander; Städte sind unter Wolken, Gletscher voll Glut, Abgründe voll Dampf, Wälder finster, und Blitze, Abendstrahlen, Schnee, Tropfen, Wolken, Regenbogen bewohnen zugleich den unendlichen Kreis.«


»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«, Jean Paul (1803)

Jean Paul kennt drei Wege, glücklicher zu werden: »Der erste, der in die Höhe geht, ist: so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, der zweite ist: gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, der dritte endlich ist der, mit den beiden andern zu wechseln.« Für den ersten Weg entscheidet sich Giannozzo, der sich mit seinem Luftschiff über die Erde erhebt und den Jean Paul einem Freund gegenüber als sein Sprachrohr bezeichnete.

Der Luftschiffer Giannozzo schwebt über den Dingen, im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinne. Er sieht die Welt aus einer Perspektive, die anderen verschlossen bleibt, nämlich von oben - und dabei zum Beispiel den Herrn Zensor bei außerehelichen Anbahnungen. Er nimmt regen Anteil - gerne auch als Sensation und Hauptperson - an den schalen Vergnügungen der Gesellschaft in Deutschlands Duodezfürstentümern – und hat meistens der Vorteil der uneinholbaren Flucht, wenn er es zu toll getrieben hat.

Jean Paul, 1763 geboren und 1825, gestorben steht literarisch gesehen zwischen Klassizismus und Romantik und spiegelt in seinen Werken das gesamte weltanschauliche Spektrum seiner Zeit wieder. Er war ein sehr eigenwilliger und extrem sentimentaler Autor, ein Zeitgenosse Goethes, aber sein Verhältnis zu Goethe und Schiller war immer ambivalent. Jean Paul interessierte sich für andere Wissenschaften, darunter vor allem für die Astronomie. Letzteres brachte ihm häufig den Ruf ein, er sei ein Träumer und Phantast.

Zwischen klassischem Ernst und romantischer Ironie zeichnen sich seine Werke vor allem dadurch aus, dass er mit geistreicher Ironie, in einem Potpourri von wohlwollendem Humor und beißender Satire, auch Gesellschaftskritik fokussierte, wie in dem Klassiker »Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«. Der nicht leicht zu lesende Klassiker, 1801 geschrieben, 1803 erschienen,, ist eigentlich ein „ komischer Anhang“ ,so Jean Paul, zu seinem 900 seitigen Kardinal- und Kapitalroman »Titan«. Die bildreiche und für die damalige Zeit sehr witzige Sprache aus dem Werk »Titan« findet sich in wesentlichen Fragmenten auch in diesem „Anhang“ wieder.

Literatur:


Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch
von Jean Paul