Menue

Samstag, 16. November 2024

»Professor Unrat« von Heinrich Mann

Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen

Mit der Geschichte vom Ende des tyrannischen Gymnasialprofessors Raat gelang Heinrich Mann bereits im Jahr 1905 eine meisterhafte Karikatur der Wilhelminischen Zeit. Ähnlich wie sein Roman »Der Untertan« gilt auch diese frühe Spießer-Satire als hellsichtige Vorwegnahme deutscher Tyrannei nach 1933. Darüber hinaus aber ist »Professor Unrat« auch einer der ersten Lehrer- und Campusromane und weist auf Meisterwerke wie Nabokovs »Lolita« oder Philip Roths »Der menschliche Makel« voraus.

Professor Raat ist ein spießiger, reaktionärer, unglücklicher, hasserfüllter Lehrer an einem Kleinstadt-Gymnasium, der dort Altgriechisch und Latein unterrichtet. Der Zeitgeschmack und die Bedürfnisser der Jugend interessieren ihn nicht. Die Jugend hasst ihn daher ebenso wie er die Jugend, die er in Wirklichkeit nicht versteht. Da er aber gegen seine Schüler Krieg führt und diese Siege gegen seine Schüler ihm Genugtuung verschaffen, er das Scheitern seiner Schüler aus gutem Hause im LeEben früh beeinflussen kann, indem er diesen schlechte Noten gibt, erhält er ein Gefühl von Macht. Professor Raat fühlt sich der Tugendhaftigkeit derart verpflichtet, dass er seine Schüler regelrecht tyrannisiert.

Alles was auch nur im Ansatz seine Autorität untergraben könnte muß im Keim erstickt werden, denn nichts fürchtet er so sehr wie Machtverlust. Selbst in ehemaligen Schülern, längst erwachsen und im Leben stehend, sieht er noch den Hang zum Aufruhr gegen ihn, obwohl diese sich seiner nurmehr verklärt erinnern. Rufen sie ihn »[…] mit seinem Namen […]« dann in beinahe wehmütiger Erinnerung an ihre Jugendzeit.

Auf drei seiner Schüler hat es Unrat besonders abgesehen, da sie in seinen Augen nur darauf aus sind Unruhe zu stiften. Ertzum, ein junger Adliger von beschränktem Geist, Kieselack, Sohn eines kleinen Hafenbeamten mit Alkoholproblemen, und Lohmann, Sohn eines wohlhabenden Kaufmanns, der wahrscheinlich intelligenteste unter Unrats Schülern, obwohl seine Leistungen im Unterricht unterdurchschnittlich sind. Als die drei wieder einmal den Unterricht stören, verbannt Unrat sie ins Kabuff, einem kleinen Nebenraum, in dem die Schüler ihre Jacken und Mäntel während des Unterrichts aufbewahren. Dabei gerät ihm Lohmanns Schulheft in die Hände, in dem er einige Verse unter anderem über eine gewisse Künstlerin Fröhlich verfaßt hat. Unrat, dem Lohmanns Intelligenz suspekt ist, wittert hier seine Chance, den Schüler Lohmann zu fassen.

Unrat, der nie aus seinem üblichen Trott herausgekommen ist, täglichen den gleichen Weg geht, versucht nun herauszubekommen, um wen es sich bei dieser Frau handelt. Zuerst denkt er an eine Schauspielerin, doch beim Theater kennt sie keiner. Auf der Suche nach ihr, gerät Unrat ins Hafenviertel. Doch auch dort kann er nichts in Erfahrung bringen, eckt aber bei den einfachen Leuten an. Unrat wendet sich an den Schuhmachermeister Rindfleisch, von dem er glaubt, er könne es wissen. Rindfleisch ist Anhänger der Herrenhuter, einer religiösen Sekte, die alles Sexuelle verdammt und fest davon überzeugt ist, »[…] daß Gott es nur darum erlaubt, auf daß er in seinen Himmel oben mehr Engel kriegt […]«. Unrat verachtet innerlich die unterwürfige Frömmigkeit des Meisters, der ihm auch nicht weiterhelfen kann.

Unrat zieht es erneut ins Hafenviertel und findet endlich die Künstlerin Fröhlich in einem Lokal namens »Der Blaue Engel«. Rosa Fröhlich arbeitet dort als mittelmäßige Sängerin, ist aber durch ihre Schönheit die Attraktion des Lokals. Im Hinterzimmer, das als Künstlergarderobe genutzt, halten sich allabendlich Kieselack, Ertzum und Lohmann auf. Unrats Erscheinen vertreibt sie. Unrat, der anfangs um seine Schüler von der Künstlerin Fröhlich fernzuhalten, nun selbst jeden Abend in den »Blauen Engel« geht, knüpft langsam eine persönliche Beziehung zu Rosa Fröhlich, bis beide eine Liaison miteinander beginnen. Zwar ist es Unrat gelungen, seine Schüler und ganz besonders Lohmann vom »Blauen Engel« fernzuhalten. Aber da es für einen Mann seiner Position nicht schicklich ist, permanent in einem solchen Haus zu verkehren, entsteht eine Pattsituation zwischen ihm und den dreien – Unrat kann sie nicht mehr mit der gleichen Strenge wie früher behandeln, aber sie können auch nicht wirklich aufbegehren.

Unrats Liaison mit der Künstlerin Fröhlich wird ruchbar, die bigotten Kollegen schneiden ihn, doch kann man den unbeliebten Kollegen nicht so ohne weiteres loswerden. Das besorgt Unrat letztlich selbst als er in einem Prozeß, in dem über die Zerstörung eines Hünengrabes verhandelt, dessen Lohmann, Ertzum und Kieselack angeklagt sind, leidenschaftlich für die Künstlerin Fröhlich, die verdächtigt wird, einen der drei angestiftet zu haben, und gegen seine Schüler Partei ergreift. Die drei werden von der Schule verwiesen, aber auch Unrat ist durch seinen Auftritt untragbar geworden. Er wird in den Ruhestand versetzt.

Er heiratet Rosa Fröhlich und beginnt einen persönlichen Feldzug gegen die Kleinbürgerlichkeit seiner Heimatstadt. Er will jeden »fassen« und vernichten, der ihn Zeit seines Lebens verunglimpft hat. Noch immer sieht er in allen Schüler. Noch lebt er in der Vorstellung, daß es für einen Menschen nichts Schlimmeres gibt als von der Schule verwiesen zu werden.

Während eines Sommerurlaubs am Meer werden er und seine Frau der – durchaus zweifelhafte – gesellschaftliche Mittelpunkt. Aber weil in ihrem Gefolge angesehene Männer sind, echauffiert man sich nur hinter vorgehaltener Hand. Rosa Fröhlich erkennt, daß sie auf Männer der »besseren Gesellschaft« wirkt und beginnt das auszunutzen.

Unrat erkennt seine Möglichkeiten und nach der Rückkehr aus dem Seebad wird sein Haus nach und nach zum besonderen Mittelpunkt des verschlafenen Ortes, der bisher keine Möglichkeit zum Laster geboten hat. »[…] Es gab kein ansehnliches Varieté. Die fünf oder sechs für den Gebrauch besserer Herren abgerichteten Halbweltdamen waren zum Überdruß bekannt, und die Freuden, die sie bieten konnten, wurden einem schal gemacht durch den Gedanken an Haus Unrat und seine Hausfrau. […]« Man erzählt sich hinter vorgehaltener Hand unter anderem von Pfänderspielen, was aber mehr Gerücht als Wahrheit ist.

Die Honoratioren des Ortes gehen in Haus Unrat ein und aus, mit Ausnahme Konsul Lohmanns, der als einziger mit dem Vergnügungsmöglichkeiten der großen europäische Städten bestens vertraut ist und deshalb dieser kleinbürgerlichen Vorstellung von Vergnügen und Laster nichts abgewinnen kann.

Während Unrats zweitem Sommer im Seebad spielt Rosa Fröhlich ihre Macht, die sie über die Männer hat, bewußt aus. Ergebnis; die Braut Richters – ein ungeliebter ehemaliger Kollege Unrats – löste die Verlobung und ein ehemaliger Schüler erleidet beinahe einen tödlichen Badeunfall. Unrat triumphiert; er hat zwei weitere – Schüler – »gefaßt«.

Doch nicht nur die Männer der ersten Gesellschaft verkehren im Haus Unrat, mitunter auch deren Frauen und Töchter, so daß nach einer Reihe von Maskenfesten »[…] Bevor der Sommer anbrach, zogen drei Frauen der guten Gesellschaft und zwei junge Mädchen sich plötzlich zurück, zu einem, wie man fand, verfrühten Landaufenthalt. […]«. Die Gatten werden Opfer ihrer Spielsucht. »[…] Drei neue geschäftliche Zusammenbrüche erfolgten. Der Zigarrenhändler Meyer am Markt beging Wechselfälschungen und erhängte sich. Über Konsul Breetpoot wird gemunkelt … […]«. Breetpoots Fall, zugleich Treuhänder des jungen Ertzum, wird für Unrat zur doppelten Freude.

Das Rad dreht sich immer schneller. Unrat gelingt es, so gut wie alle seine früheren Widersacher – tatsächliche und eingebildete – zu Fall zu bringen. Doch Letztlich werden sie nur Opfer ihrer eigenen Spießigkeit und Doppelmoral.
Unrat weiß, »[…] daß die sogenannte Sittlichkeit in den meisten Fällen auf das innigste mit Dummheit verknüpft ist. […]«.
In Konsul Breetpoots junge lebenslustige Frau Dora war der Schüler Lohmann eine Zeitlang verliebt. Ihr galt seine Leidenschaft, war die Mehrzahl der Gedichte in seinem Schulheft gewidmet und nicht der Rosa Fröhlich, wie Unrat fälschlicherweise annahm.

Auf dem Höhepunkt von Unrats »Herrschaft« über die Kleinstadt kehrt Lohmann aus dem Ausland zurück, wohin ihn sein Vater nach dessen Schulverweis geschickt hat, um seine Ausbildung als Kaufmann zu vervollständigen. Lohmann ist abgeklärter geworden. Er sieht die Kleinstadt und ihre einstigen Honoratioren als das was sie sind; Provinzler. Die von ihm früher so innig verehrte Dora Breetpoot ist nur eine Kleinstadtschönheit wie Rosa Fröhlich auch nur eine Kleinstadtkokotte ist.

Rosa überredet Lohmann mit in ihr Haus zu kommen. Lohmann folgt der Einladung. Dort begegnet Lohmann Unrat. Unrat, der Rosa bereits im »Blauen Engel« den Umgang mit Lohmann verboten hat, versucht in einem Anfall von panischer Wut und Eifersucht, Rosa zu erwürgen. Lohmann geht dazwischen. Rosa flüchtet in ihr Zimmer. Unrat entdeckt die prall gefüllte Brieftasche Lohmanns auf dem Tisch, die dieser dorthin gelegt hat, um Rosa zu zeigen, daß er ohne Gegenleistung bereit wäre, sie und Unrat aus finanzieller Verlegenheit zu helfen. Unrat nimmt die Brieftasche an sich. Doch anstatt sie ihm zu entreißen, verliert Lohmann seine vermeidliche Weltgewandtheit und Toleranz. »[…] Lohmanns Geist, der durch so unglaubwürdige Erlebnisse noch nie erprobt war, warf alle Eigenart ab und antwortete auf »Verbrechen« ganz bürgerlich mit »Polizei«. Wohl bewahrte er das Bewußtsein, dies sei kein besonders seltener Fall, aber er sagte sich: »Da hört’s auf«, und schritt stramm über das Bedenken hinweg. […]«. Lohmanns Anzeige führt zur Verhaftung von Unrat und Rosa. Letzteres hat Lohmann nicht beabsichtigt. Aber die »[…] Stadt war in Jubel, weil Unrats Verhaftung beschlossen war. Endlich! Der Druck des eigenen Lasters war von ihr genommen, da die Gelegenheit dazu entfernt ward. […]«.

Heinrich Manns vermutlich bekanntester Roman erschien 1905 und ist mehr als nur die vordergründige Geschichte eines verhärmten alternden Kleinstadt-Gymnasiallehrers der in später Liebe zu einer Kleinstadtkokotte entbrennt und aus seiner gewohnt kleinbürgerlichen Bahn gerät. Unrat kennt seine Umgebung und deren Spießigkeit nur zu genau und verachtet sie in ihrer provinziellen Dummheit. Unrat ist Witwer, der eine unglückliche Ehe hinter sich hat. Sein einziger Sohn mußte die Stadt verlassen, nur weil er in nicht genehmer weiblicher Gesellschaft gesehen wurde, und von Unrats bigottem Kollegen Hübbenett diffamiert wurde. Hübbenett findet sich später wie viele andere auch unter Unrat »Opfern« wieder. Jedoch fällt es schwer von wirklichen Opfern Unrats zu sprechen. Sie werden vielmehr Opfer ihrer eigenen Kleingeistigkeit oder wie Unrat gegenüber Rosa Fröhlich formuliert: »[…] daß die sogenannte Sittlichkeit in den meisten Fällen auf das innigste mit Dummheit verknüpft ist. […]«.

Unrats Zeit versucht sich in Moral und fördert durch dieses enge Korsett nur das Laster, denn die ganze aufgezwungene vermeidliche Anständigkeit, die wider der menschlichen Natur ist und nur dazu dient, das Volk gefügig zu halten, wie Unrat seine Schüler mit vergleichbaren Methoden, muß sich irgendwann ein Ventil verschaffen. Wie ein Druckkessel, der immer stärker aufgeheizt wird, über ein Ventil Dampf ablassen muß, weil er sonst platzt.

Unrats Haus wird zu diesem Ventil. Doch da die Kleinbürger das Dampfablassen nicht gewohnt sind, werden sie in ihrem Laster genauso so maßlos wie in ihrer Sittlichkeit. Mehrere ruinieren sich im Spiel. Die nach außen hin ehrbaren Frauen und Töchter werden ungewollt schwanger, da die Sittlichkeit verhindert, daß sie Kenntnisse über Verhütung erhalten.

Unrat erfährt jedoch nicht nur Triumphe; er muß auch die Tiefen der Eifersucht durchleben, wenn Rosa mit einem anderen Mann zusammen ist, wenn auch aus keinem anderen Grund als diesen zu »fassen«. Unrat erkennt das Dilemma seiner Situation. »[…] Es steht unter allen Dingen eines fest: Daß jemand, dem die hellsten Gipfel zu erklimmen gelang – daß ein solcher auch mit den undurchdringlichen Schlünden wohlvertraut ist. […]«.

Heinrich Mann teilt seine Zeit nicht einfach in anständige Frauen und Kokotten ein. Die Frauen der »guten Gesellschaft« sind nicht besser als Rosa, vielleicht sogar schlimmer, denn bei ihnen geschieht es hinter einer verlogenen Fassade aus Anständigkeit, während Rosa es für alle sichtbar tut. Rosa Fröhlich besitzt ein Gegenstück innerhalb der »Guten Gesellschaft«: Dora Breetpoot, die zu Beginn des Romans vom jungen Lohmann heimlich verehrt wird. Und von der die ganze Stadt munkelt, daß ein Kind, das sie erwartet, entweder vom Assessor Knust oder vom Offizier von Gierschke aber auch von ihrem Mann sein könnte. Mit der späteren Erwähnung von Dora Breetpoots reicher Kinderzahl wird zugleich auf ihre zahlreichen Liebhaber verwiesen.

Heinrich Mann betont, daß die sogenannten ehrbaren Frauen sich in keiner Weise von den Kokotten unterscheiden und auch nicht anders als ihre Männer sind, die ebenfalls ihre Liebschaften haben, sei es mit Prostituierten oder mit einer Geliebten, die sie aushalten. Aber bei verheirateten Frauen wurde ein Auge zugedrückt und solange der Gatte es nicht merken wollte, nur hinter vorgehaltener Hand getuschelt, wenn überhaupt.

Der junge Lohmann, den Unrat als seinen persönlichen Gegner betrachtet, obwohl Lohmann mit Unrat sogar ehrliches Mitleid empfindet, ist mehr Beobachter und Kommentator als Beteiligter, den seine heimliche Liebe zu Dora Breetpoot intensiv beschäftigt und der dabei mehrmals in jugendlicher Romantik an Selbstmord denkt. Womit Heinrich Mann auch die seelischen Nöte beschreibt, in die junge Menschen seiner Zeit zwangsläufig gerieten, weil sie ihre aufkeimende Sexualität rigoros unterdrücken mußten. Lohmanns Sympathien bleiben bei Unrat, obwohl dieser ihn bekämpft. Lohmann erkennt früh, daß Unrat in seinem tiefen Inneren ein Anarchist ist und sieht dessen Entwicklung voraus.

Doch so weltgewandt Lohmann sich selbst auch einschätzt, am Ende reagiert er ebenso kleinbürgerlich wie alle mit seiner Anzeige anstatt Unrat einfach die Brieftasche wieder abzunehmen. Jedoch bezahlt auch Lohmann einen Preis; Rosa wird ebenfalls verhaftet.

Unrat, der anfangs nüchtern berechnend seinen Mitbürgern die Maske der Ehrbarkeit vom Gesicht gerissen und finanziell davon profitiert hat, wird am Ende Opfer seiner Vernichtungsgier, denn er verliert Maß und Ziel. Selbstverständlich ist mit seinem Ende nicht gesagt, daß nicht irgendwann jemand anderer kommt und den Kleinbürgern wieder Gelegenheit zum Laster geben kann.

Unrats Verhaftung kann auch als Strafe gesehen werden, daß er sich an dem einzigen Menschen vergreift, der nie etwas gegen ihn hatte. Aber ebenso zeigt sie, daß auch Lohmanns Weltgewandtheit auch nur Fassade ist wie die Sittsamkeit der anderen. Auch darunter zeigt sich der Spießer, der Kleinbürger, wenn an seinen Grundsätzen gerüttelt wird.

Literatur:

Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
von Heinrich Mann

Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
Professor Unrat oder das Ende eines Tyrannen
von Heinrich Mann

Novelle »Der Zauberberg« vor 100 Jahren veröffentlicht

Der Zauberberg


Der Schriftsteller Thomas Mann liebte die Schweiz. Daher spielt auch seine 1924 erschienene Novelle »Der Zauberberg« in einem Sanatorium in Davos. »Der Zauberberg« schildert eine gänzlich andere - fast schon entrückte - Welt. Thomas Mann schuf ein zeitlos gültiges Bild der Zeit um den Ersten Weltkrieg.

Thomas Manns Roman Der Zauberberg begreift Davos als Sinnbild für die Träume und die Katastrophen Europas. Der Ort steht exemplarisch für die Komplexität und Zerrissenheit der Moderne und macht europäische Kulturgeschichte sichtbar.

Thomas Mann hat mit seinem berühmten Roman »Der Zauberberg« - eine Metapher für das sich unbekümmert in den Ersten Weltkrieg stürzende Europa - die legendären Sanatorien mit ihrer eleganten Art-Déco-Architektur, den Liegehallen und Sonnenterrassen, umgeben von den Gipfeln der Alpen, ein Denkmal gesetzt. Davos - ein Ort, in dem die Zeit stillzustehen scheint und wo dem Bedürfnis nach Zerstreuung mit Spaziergängen, Konzerten und Diners in prächtigen Speisesälen Rechnung getragen wird.

Der Roman »Der Zauberberg« von Thomas Mann erzählt die abenteuerliche Geschichte von Hans Castorp, einem jungen Mann einer alteingesessenen Bürgersfamilie aus dem flachen Norden Deutschlands.

Der Zauberberg Dieser Hans Castorp kommt zu Besuch auf den Zauberberg, einem Lungensanatorium auf der Schatzalp bei Davos, verschlägt es in diese Bergwelt und kommt nicht mehr weg. Denn, so wird schnell klar, dieser Zauberberg in einer abgeschotteten Bergwelt hat seine eigenen Gesetze und seine eigene Zeit, denn er ist aus der Zeit gefallen.

Früh verwaist, hat der junge Castorp gerade sein Studium als Schiffsbauingenieur beendet und fährt für drei Wochen nach Davos, um seinen Vetter Joachim Ziemßen zu besuchen, der dort in dem internationalen Sanatorium "Berghof" zur Kur weilt und seine Lungenerkrankung kuriert. Wegen Anzeichen von Tuberkulose wird dieser sicherheitshalber von den Ärzten in Davos behalten.

"Wenn ich einen Wunsch für den Nachruhm meines Werkes habe, so ist es der, man möge davon sagen, dass es lebensfreundlich ist, obwohl es vom Tode weiss."


Ein kurzer Besuch in einem Davoser Sanatorium wird für den Protagonisten Hans Castorp zu einem siebenjährigen Aufenthalt, der Kurort wird zur Bühne für die europäische Befindlichkeit vor dem Ersten Weltkrieg. - Im Juli 1913 begonnen, während des Krieges durch essayistische Arbeiten, vor allem durch die »Betrachtungen eines Unpolitischen«, unterbrochen, konnte der Roman erst im Jahr 1924 abgeschlossen und veröffentlicht werden.


Inspiration zur Geschichte bekam Thomas Mann von seinem eigenen Aufenthalt in Davos. Seine Frau Katia erkrankte an Tuberkulose und reiste zur Liegekur ins Waldsanatorium Davos. Das bot Thomas Mann fundierte Berichte über das Leben im Sanatorium aus erster Hand. Geplant als Novelle, als heiteres Gegenstück zu dem ernsten »Tod in Venedig«, entstand mit dem »Zauberberg« einer der großen Romane der klassischen Moderne und zu einem der gewaltigen Werke der Weltliteratur.

Literatur:

Der Zauberberg
Der Zauberberg
von Thomas Mann

Weblinks:

Manns Zauberberg - www.davos.ch

Schatzalp - Wikipedia-org

Bücher-Shop   Literatur Bücher-Shop

Literatur und die Beschreibung der Übel in der Welt

Karl Kraus war überzeugt, dass sich in jeder kleinsten Unstimmigkeit, die scheinbar eine höchstens lokal und zeitlich begrenzte Bedeutung hat, die großen Übel der Welt und der Epoche offenbaren. So konnte er in einem fehlenden Beistrich ein Symptom für jenen Zustand der Welt erblicken, der einen Weltkrieg erst möglich mache. Eines der Hauptanliegen seiner Schriften war es, mittels solcher kleiner Missstände auf die großen Übel aufmerksam zu machen.


In seinem Drama »Die letzten Tage der Menschheit« entwarf Karl Kraus ein gewaltiges Zeitpanorama des Ersten Weltkrieges, das in vielen grotesken Szenen die ganze Absurdität und Unmenschlichkeit des Kriegsgeschehens zu ermessen versucht. Dieses Antikriegsepos und Zeitpanorma ist ein furioser Augenzeugenbericht vom Untergang des alten Europa.

In seinem monströsen Weltuntergangskabarett "Die letzten Tage der Menschheit" stülpt Karl Kraus das vertraute Bild des Habsburgerreiches ins Infernalische um. Der Erste Weltkrieg erweist sich als apokalyptisches Völkergemetzel, angerichtet von bestialischen Militärs, idiotischen Beamten, zwei blödsinnigen Kaisern, einer vertrottelten Adelskaste, einer bornierten Kirche und einem gierigen Bürgertum im Verein mit einer gewaltgeilen Journaille von Kriegshetzern und Hyänen des Schlachtfelds.

»Die toten Seelen« von Nikolai Gogol

Die toten Seelen


»Die toten Seelen« ist ein Roman von Nikolai Gogol. Das Thema dieses Buches stammt eigentlich von Puschkin, der mit Gogol befreundet war und der Meinung war, daß sein Freund dieses Thema besser umsetzen könne. 1835 erklärte Puschkin Gogol den Stoff. 1841 schloss Gogol das Thema in Rom ab. Die Moskauer Zensurbehörde lehnte den Druck ab. Mit Vermittlung eines Freundes genehmigte die Sankt Petersburger Zensurbehörde die Herausgabe mit geändertem Titel.

Die Hauptperson ist ein Mann namens Tschitschikow, ein umtriebiger und schlitzohriger Mensch, der tote Seelen kauft umso reich zu werden. Immer wieder hat er Rückfälle. Mit Disziplin rafft er sich immer wieder auf und beginnt. Am Ende scheint alles verloren. Er sitzt schon im Kerker und wird wieder befreit um neu beginnen zu können. Trotz der zentralen Figur des Tschitschikow ist es nicht nur ein Roman über ihn; es wird das Leben am Land und viele Gutsbesitzer beschrieben.



Tschitschikow reist in eine Bezirkshauptstadt in der Ukraine und trifft hier Grundbesitzer, denen er leibeigene Bauern abkauft. Jedoch möchte er nur solche Bauern kaufen, die bereits verstorben sind, aber noch in den Registrierlisten aufscheinen, die nur alle 10 Jahre erneuert werden. Da die Steuer jedoch nach den Registrierlisten eingehoben wird und Tschitschikow durch den Kauf die Steuerlast der Grundbesitzer übernimmt, ist sein Motiv nicht ganz verständlich.


„Bekanntlich gibt es viele Gesichter auf der Welt, bei deren Bearbeitung sich die Natur nicht lange aufgehalten und keinerlei feine Instrumente, wie Feilen, kleine Bohrer und dergleichen, verwandt hat: sie Holte einfach mit der Axt aus, ein Schlag – und fertig war die Nase, ein zweiter Schlag - und fertig waren die Lippen, mit einem Riesenbohrer wurden die Augen gemacht, und dann hieß es: „Er lebt!“, und der Mensch wurde mit ungehobeltem Gesicht in die Welt geschickt.“

Die ausführlichen und detaillierten Erzählungen der russischen Dichter des 19. Jahrhunderts geben eine Zeit wieder, die es nicht mehr gibt. Das Wesentliche im Buch ist aber nicht die Geschichte, sondern die Beschreibung der Menschen und der Gesellschaft, die Tschitschikow hier im zaristischen Russland von 1820 antrifft. Neben menschlichen Schwächen führen die Versuchungen des aufkommenden westlichen Einflusses zu Materialismus und Kapitalimus, zu Korruption und illegalen Machenschaften.

Obwohl Gogol deutlich moralische Stellung bezieht, nimmt er seine Protagonisten in Schutz und versteht ihre Schwächen. So wendet er sich immer wieder direkt an den Leser um auch ihn zu beschwichtigen und nicht böse oder verurteilend zu sein.

Das Buch ist satirisch, ironisch geschrieben und köstlich zu lesen. Diese Ausgabe ist die erste deutsche Übersetzung aus dem Jahre 1846 und in der damaligen Sprache und Orthografie verfasst, was einen zusätzlichen Reiz beim Lesen ausmacht - ich fühlte mich in die Zeit, in der das ganze Buch spielt, versetzt.

Literatur:


Die toten Seelen
von Nikolai Gogol

Freitag, 8. November 2024

Kazuo Ishiguro 70. Geburtstag

Kazuo Ishiguro

Kazuo Ishiguro wurde am 8. November 1954 in Nagasaki geboren. Ishiguro ist ein britischer Schriftsteller japanischer Herkunft.

1960 wanderte seine Eltern aus Japan aus und er kam mit seiner Familie nach Großbritannien. Er studierte Anglistik und Philosophie, danach Kreatives Schreiben und war hauptberuflich Sozialarbeiter, bevor er sich ab 1983 rasch als freier Schriftsteller etablierte.

Kazuo Ishiguro ist ein Schriftsteller, der beides glänzend beherrscht: tiefgründig und zugleich packend zu erzählen. Er gilt als Meister der Melancholie.

Internationale Berühmtheit erlangte er durch seinen Bestseller „Was vom Tage übrig blieb“, für den er 1989 den renommierten Booker Prize erhielt und der ebenso erfolgreich verfilmt wurde wie sein 2005 veröffentlichter dystopischer Roman „Alles, was wir geben mussten“.

Nachdem Ishiguro mit seinem Debüt „Damals in Naga­saki“ beeindruckte, dem Porträt einer von späten Schuldgefühlen heimgesuchten Mutter, umfasst sein Œuvre nunmehr sieben Romane, Kurzgeschichten, daneben Drehbücher und Liedtexte.

Sein dritter und berühmtester Roman „Was vom Tage übrigblieb“ wurde 1989 mit dem Booker Prize ausgezeichnet.


Kazuo Ishiguro

Kazuo Ishiguro lebt heute in London.

Sonntag, 3. November 2024

Georg Trakl gilt als einer der bedeutendsten Dichter des Expressionismus

https://upload.wikimedia.org/wikipedia/commons/thumb/e/e3/GeorgTrakl.jpg/220px-GeorgTrakl.jpg


Georg Trakl gilt neben Gottfried Benn (1886-1956) und Georg Heym (1887-1912) als einer der bedeutendsten Dichter der literarischen Epoche des Expressionismus.

Anders als die anderen Vertreter seiner Zeit, erschuf Trakl eine eigene, tiefsinnig-depressive und chiffrenhaltige Welt, die in ihren erzeugten Bildern eine typisch "schwermütige Grundstimmung" vermittelt.

Seine Gedichte spiegeln das Genie des Dichters wieder. Sie sind ein Spiegel der Zeit und exemplarisch für die Ideen ihrer Epoche. Sie bringen das vorherrschende Gefühl der Düsternis zum Ausdruck.

Trakls Schaffen lässt sich in vier Phasen untergliedern. Die erste Phase bezieht sich auf seine Jungwerke, welche durch zwei Einflüsse stark geprägt wurden, zum einen Nietzsche und die Strömungen des Jugendstils und zum anderen der Symbolismus.

In der zweiten Schaffensphase (ca. 1909–1912) ist der expressionistische Reihungsstil, den er selbst charakterisiert als „meine bildhafte Manier, die in vier Strophenzeilen vier einzelne Bildteile zu einem einzigen Eindruck zusammenschmiedet“.

Seine späteren Werke (ca. 1912 bis 914) liegen in seiner dritten Phase, welche durch die hohe poetische Suggestivität der Bilder eine großen semantischen Offenheit erzeugt. Dieser hermetisch-abstrakte Stil und das Bestreben Eindeutiges zu verunklaren, bildet einen Individualistil.

Die letzte Phase von 1914 bis zu seinem Ableben beinhaltet viele seiner postum veröffentlichten Werke. Sie ist geprägt durch seine Kriegserfahrung und einen archaisch-apokalyptischen Tenor wie beispielsweise in den drei Werken »Im Osten«, »Klage« und »Grodek«.

Weblinks:

Georg Trakl - Leben und Werk - www.georgtrakl.at

Georg Trakl Lyrik-Portal - www.georgtrakl.at

Biografien:<

Georg Trakl
Georg Trakl von Gunnar Decker

Georg Trakl: Dichter im Jahrzehnt der Extreme
Georg Trakl: Dichter im Jahrzehnt der Extreme
von Rüdiger Görner

Samstag, 26. Oktober 2024

Phantastische Literatur


Zahlreiche Schriftsteller, die phantastische Literatur verfasst haben. Da gab es etliche interessante Einträge bei den Klassikern und Romantikern, die von Goethes Faust über Schillers Geisterseher bis zum Bettelweib von Locarno von Heinrich von Kleist und einer Reihe von Erzählungen E.T.A. Hoffmann reichten – das wäre eine weitere Artikelserie wert. Als Science Fiction-Vorläufer bzw. -Klassiker wurden immerhin Jules Verne und H. G. Wells erwähnt.