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Samstag, 27. September 2025

»Farm der Tiere« von George Orwell

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George Orwell den als Satire geschriebenen Roman »Farm der Tiere« (»Animal Farm«) im Jahr 1945 veröffentlicht. Der Roman gilt als Parabel auf die Geschichte der Sowjetunion, bei der auf die vom Volk getragene Februarrevolution letztlich die diktatorische Herrschaft Stalins folgte. In der DDR durfte das Buch, wie auch alle anderen Werke Orwells, nicht erscheinen, und sein Besitz konnte strafrechtliche Folgen haben.

Zu Beginn des Romans vertreiben die unterdrückten Tiere den Bauern vom Hof und übernehmen selber die Macht. Sie genießen ihre neue Freiheit und geben sich eine Verfassung, die mit den Worten "Alle Tiere sind gleich" beginnt.

In der Orwellschen Satire schwingen sich die Schweine nach der Revolution gegen den Bauern als die intelligenten Tiere zur Regierung auf. Dabei ufern ihre Zusammenkünfte immer mehr in Orgien aus, während sie den anderen Tieren immer härtere Arbeit aufbürden.

Die schöne Utopie der Tiere wandelt sich jedoch in ein despotisches Regime, als die Schweine die Macht auf dem Hof an sich reißen und die anderen Tiere unterdrücken.

George Orwell hat mit seinem satirischen Werk (Gesellschaftssatire) wirklich großartige Arbeit geleistet, den Werdegang Russlands angefangen von der Oktoberrevolution bis hin zum Beginn des Kalten Krieges als eine Fabel niederzuschreiben, die auf einem Bauernhof in England spielt.

Der Zar, der in der Geschichte der Bauer Jones ist, lässt seine Tiere fast verhungern, das Leben ist furchtbar und die Tiere sind Sklaven der Menschen. Der alte Eber Old Major (im Original Lenin/ Marx) ruft zur Revolution auf und nach seinem Tode kommt es tatsächlich so, dass die Tiere es schaffen, die Menschen zu vertreiben. Die Herrenfarm wird zur Farm der Tiere. Und genau an dem Zeitpunkt, an dem die Schweine die Führungsposition übernehmen, weil sie die Klügsten auf der Farm sind, beginnt der eigentliche Werdegang. Debatten werden abgehalten, die Tiere beginnen sind für sich selbst verantwortlich, müssen sich aber auch gegen die Menschen von den Nachbarfarmen zur Wehr setzen, die sich mit Jones verbündet haben.

An diesem Punkt scheint noch alles glanzvoll und prächtig. Die Tiere sind glücklich, es gibt genug zu essen und die wichtigsten sieben Gebote werden auf der Wand schriftlich für alle lesbar festgehalten (Problem ist nur, dass kaum ein Tier lesen kann). Nach der Vertreibung des Schweins Schneeball übernimmt Napoleon (Stalin) die Führung und lässt u.a. eine Windmühle bauen. Von da an verschlechtert sich alles. Die Tiere bekommen immer weniger zu essen, müssen mehr arbeiten und die Gebote werden nach und nach zugunsten der Schweine verändert, die dafür immer mehr zu essen bekommen. Wer sich auflehnt, wird mit dem Tode bestraft und selbst als es zu grausamen Hinrichtungen kommt, wehrt sich keines der Tiere. Denn sie glauben fest daran, dass sie immer noch besser dran sind als zu Jones' Zeiten.

Was unfassbar und unverständlich erscheint, ist bedauerlicherweise Realität und wenn man dieses Werk durchliest, gerät man schon ins Nachdenken. Ist es wirklich so einfach, als Klügerer unter anderen Menschen die Macht an sich zu reißen und mithilfe von Propaganda, Medienfälschung und Manipulation eine Idee für eine Perfekte Gesellschaftsform in eine derartige Katastrophe zu verwandeln, dass die Schweine im Nachhinein nicht anders als die Menschen sind? Warum wehrt sich niemand und warum will niemand auf der Farm Napoleons grausame Herrschaft in Frage stellen?

Dieses Werk ist das perfekte Beispiel dafür, wie aus einer guten Idee das glatte Gegenteil wird. Und es passiert immer und immer wieder. Wer hinter den Kulissen der Fabel "Farm der Tiere" blicken und unter den verschiedenen Tierrassen auch die verschiedensten Arbeiter- und Standesklassen erkennen kann, der weiß, was mit ihnen passiert. Die Arbeiterklasse der Pferde schuftet sich zu Tode oder wird, wenn sie unbrauchbar wird, an den Metzger verkauft. Die geschickten Redner der Schweine nutzen die Macht und den Einfluss der Propaganda, um jeden Zweifel im Keim zu ersticken, alle im Glauben zu lassen, dass alles besser ist als vorher und dass alles seine rechten Wege geht.

Die Farm der Tiere, eigentlich eine Fabel basierend auf historischen Ereignissen, ist ein sehr gut veranschaulichtes Bild davon, wie sich unsere entwickelten Gesellschafts- und Politikformen zum Negativen entwickeln und wir es nicht bemerken bzw. schweigend hinnehmen oder einfach leugnen. Ich kann dieses Buch besonders jenen Lesern ans Herz legen, die sich mit Politik und auch den historischen Werdegang Russlands interessieren. Man muss allerdings auch gerne Fabeln lesen können, denn nicht jedem gefällt es, hauptsächlich nur über Tiere zu lesen, die sprechen und schreiben können. Für Kinder ist dieses Buch allerdings nicht geeignet. Sie würden vieles nicht wirklich verstehen und es kommen zum Teil auch grausame Szenen vor, wie zum Beispiel die blutige Hinrichtung von Aufständischen und politischen Gegnern.


Literatur:

Farm der Tiere
Farm der Tiere
von George Orwell

Samstag, 20. September 2025

»Ansichten eines Clowns« von Heinrich Böll


»Ich bin ein Clown, im Augenblick besser als mein Ruf.« Hans Schnier, einst ein gefragter Pantomime und Spaßmacher, sitzt, nachdem ihn seine Frau verlassen hat, zum Bettler degradiert auf den Stufen des Bonner Bahnhofs.

Hans Schnier möchte lieber Clown sein als ein Angepasster an Gesellschaft und katholische Kirche. Er lebt in sog. wilder Ehe mit Marie, die ihm Lebenselixier ist. Marie verlässt ihn, weil er sich nicht darauf einlässt, künftige Kinder, die aus der Beziehung hervorgehen könnten, katholisch zu erziehen. Er mag sich dem Diktat dieser Kirche ebenso wenig unterwerfen wie dem der sog. Gesellschaft der Macher in Wirtschaft und Politik.
Die Beziehung von Schnier mit Marie war ja sozusagen sehr katholisch: Was Gott im Himmel gebunden hat soll der Mensch nciht scheiden". Ein bisschen ausstossen und aus den eigenen Reihen verbannen ging schon. Man könnte da ein paar Begriffe sorglos hinterfragen, weil möglicherweise nichts dahinter ist als reine Leere.
Marie verlässt ihn und heiratet einen "fortschrittlichen" Katholiken. Für Schnier beginnt eine Abwärtsspirale als Spassmacher und so endet er auf der Treppe des Bonner Bahnhofs als Bettler.

Deutschland nach dem Krieg. Die Löcher der Bomben wurden gestopft, die Wirtschaft brummt wie ein geölter Motor, sogar die gesellschaftliche Ordnung ist wiederhergestellt. Die Schuld, sie ist allgegenwärtig. Wie kann es sein, dass alle einfach weitermachen, dass die alten Nazis sich jetzt Katholiken und Philanthropen nennen?

Klafft nicht in ihrer Mitte ein gigantisches Loch der verlorenen Menschlichkeit?
Gibt es überhaupt ein weiter nach dem Ende? Ein Spiel - es ist alles ein Spiel, alles Fassade und keinen stört's, außer Hans. - Hans ist Clown, Hans kann nicht so weitermachen, für Hans ist immer noch alles kaputt.

Literatur:

Ansichten eines Clowns
»Ansichten eines Clowns
von Heinrich Böll

»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch« von Jean Paul


Es ist ein Reisebericht, in dem der Luftschiffer, Jean Paul als dessen Sprachrohr, die Montgolfiere aufsteigen lässt, zu fantastischen, skurrilen Ausflügen über Deutschland, bis in die Schweiz und die Schweizer Berge. Dabei schaut Giannozzo, über den Dingen schwebend, jedoch noch nah genug, um alles Wesentliche zu sehen, mit einem spöttischen, höhnischen, teilweise auch beseelten, ja extrem sentimentalen Blick auf seine Zeitgenossen und karikiert den damaligen kleinbürgerlichen, ich-bezogenen Zeitgeist.


Die Luftschiffausflüge entstehen in der Imagination und sind Zeugnis dafür, dass der Autor sowohl unter der Betrachtungsweise, Metaphorik als auch Mystik, seiner Zeit weit voraus war. Jean Paul erweist sich darüber hinaus auch in diesem Werk wieder einmal als ganz genialer Sprachschöpfer, als Meister des ironischen, satirischen und humoristischen Sprachstils.

»Noch sonnen die goldgrünen Alpen ihre Brust, und herrlich arbeiten die Lichter und die Nächte in den aufeinander geworfenen Welten der Schweiz durcheinander; Städte sind unter Wolken, Gletscher voll Glut, Abgründe voll Dampf, Wälder finster, und Blitze, Abendstrahlen, Schnee, Tropfen, Wolken, Regenbogen bewohnen zugleich den unendlichen Kreis.«


»Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«, Jean Paul (1803)

Jean Paul kennt drei Wege, glücklicher zu werden: »Der erste, der in die Höhe geht, ist: so weit über das Gewölke des Lebens hinauszudringen, der zweite ist: gerade herabzufallen ins Gärtchen und da sich so einheimisch in eine Furche einzunisten, der dritte endlich ist der, mit den beiden andern zu wechseln.« Für den ersten Weg entscheidet sich Giannozzo, der sich mit seinem Luftschiff über die Erde erhebt und den Jean Paul einem Freund gegenüber als sein Sprachrohr bezeichnete.

Der Luftschiffer Giannozzo schwebt über den Dingen, im wörtlichen, nicht im übertragenen Sinne. Er sieht die Welt aus einer Perspektive, die anderen verschlossen bleibt, nämlich von oben - und dabei zum Beispiel den Herrn Zensor bei außerehelichen Anbahnungen. Er nimmt regen Anteil - gerne auch als Sensation und Hauptperson - an den schalen Vergnügungen der Gesellschaft in Deutschlands Duodezfürstentümern – und hat meistens der Vorteil der uneinholbaren Flucht, wenn er es zu toll getrieben hat.

Jean Paul, 1763 geboren und 1825, gestorben steht literarisch gesehen zwischen Klassizismus und Romantik und spiegelt in seinen Werken das gesamte weltanschauliche Spektrum seiner Zeit wieder. Er war ein sehr eigenwilliger und extrem sentimentaler Autor, ein Zeitgenosse Goethes, aber sein Verhältnis zu Goethe und Schiller war immer ambivalent. Jean Paul interessierte sich für andere Wissenschaften, darunter vor allem für die Astronomie. Letzteres brachte ihm häufig den Ruf ein, er sei ein Träumer und Phantast.

Zwischen klassischem Ernst und romantischer Ironie zeichnen sich seine Werke vor allem dadurch aus, dass er mit geistreicher Ironie, in einem Potpourri von wohlwollendem Humor und beißender Satire, auch Gesellschaftskritik fokussierte, wie in dem Klassiker »Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch«. Der nicht leicht zu lesende Klassiker, 1801 geschrieben, 1803 erschienen,, ist eigentlich ein „ komischer Anhang“ ,so Jean Paul, zu seinem 900 seitigen Kardinal- und Kapitalroman »Titan«. Die bildreiche und für die damalige Zeit sehr witzige Sprache aus dem Werk »Titan« findet sich in wesentlichen Fragmenten auch in diesem „Anhang“ wieder.

Literatur:


Des Luftschiffers Gianozzos Seebuch
von Jean Paul

»Grimms Märchen« von Wilhelm Grimm und Jacob Grimm

Grimms Märchen. Vollständige Ausgabe
Grimms Märchen. Vollständige Ausgabe

Da in der Romantik das Interesse an Volksdichtungen wuchs – was vor allem durch die Rückbesinnung auf das Mittelalter begründet war – entstanden zahlreiche alte Märchen und Lieder, welche in umfangreichen Sammlungen zusammengefasst und veröffentlicht wurden.

Jacob und Wilhelm Grimm, genannt die Brüder Grimm, bauten für die Sammlung ein ganzes Netz von Zuträgern auf, welches die alten, überlieferten Erzählungen an sie herantrugen. Erzählt wurden sie von Frauen auf dem Land , welche sich beim Spinnen trafen. Aus diesen zusammengetragenen Geschichten entstand eine Märchensammmlung.

»Grimms Märchen« nennt man volkstümlich die berühmte Sammlung Kinder- und Hausmärchen, welche Jacob und Wilhelm Grimm von 1812 bis 1858 herausgaben. Akribisch sichteten und überarbeiteten die Brüder die überlieferten Geschichten und formten sie zu großer Dichtung.

Zu der Sammlung von Märchen kamen die Brüder Grimm nur durch Zufall. Die Brüder Grimm sammelten auf Anregung der Romantiker Clemens Brentano, Achim von Arnim und Johann Friedrich Reichardt ursprünglich für deren Volksliedersammlung »Des Knaben Wunderhorn« ab 1806 Märchen aus ihrem Bekanntenkreis und aus literarischen Werken.

Die Märchen waren ursprünglich nicht nur für Kinder gedacht, sondern entstanden vor allem aus volkskundlichem Interesse und erhielten entsprechende märchenkundliche Kommentare. Wilhelm Grimms sprachliche Überarbeitungen schufen daraus einen Buchmärchenstil, der bis heute das Bild von Märchen prägt.

Kein anderes Werk deutscher Sprache ist weltweit so bekannt und verbreitet wie die Märchensammlung der Brüder Jacob und Wilhelm Grimm: Die Bezeichnung »Grimms Märchen« ist zum Synonym für den ganzen Reichtum und vielfarbigen Glanz des deutschsprachigen Märchenschatzes geworden.


Märchen sind gesellschaftsutopische Modelle. Sie versprechen eine wunderbare Zukunft und eine gerechte Welt, in der alles seine Ordnung hat, in der klar ist, wer gut oder schlecht ist. Ein weiterer Grund ist, dass man jedes Märchen psychologisch deuten kann. Das ist im Augenblick sehr angesagt. Und: Märchen geben Orientierung in einer Welt, die immer komplexer wird. Das ist sicher auch ein wichtiger Grund, warum Märchen immer noch so erfolgreich sind.

In vielen Märchen geht es richtig zur Sache und flößen Angst ein, denn da geht es wirklich um das Allerschlimmste. Aber – und das macht einen Großteil ihres Erfolges aus – in aller Regel finden sie ein gutes Ende.
Weblinks:

Romantik - wortwuchs.net

Heidelberger Romantik - wortwuchs.net

Literatur:

Grimms Märchen. Vollständige Ausgabe
Grimms Märchen. Vollständige Ausgabe
von Wilhelm Grimm und Jacob Grimm


Grimms Märchen. Gesamtausgabe
Grimms Märchen. Gesamtausgabe
von Wilhelm Grimm und Jacob Grimm

Samstag, 13. September 2025

Kleist als zeitloser Klassiker

Heinrich von Kleist

Der Dramatiker und Journalist Heinrich von Kleist war eine der größten Begabungen der deutschen Literatur. Der vielseitig begabte Dichter Kleist beherrschte mehrere Literaturgattungen und gilt als einer der grössten deutschen Dramatiker und steht mit seinem Schaffen zwischen der Klassik und der Romantik. Kleist bewegte sich in romantischen Dichterkreisen, seine bis heute modern wirkenden Dramen und Erzählungen entziehen sich allerdings schematischen Stil- und Epochenzuordnungen.

Kleist hat im Laufe ihres Werkes unterschiedliche Genres genutzt, um ihre Ansichten darzustellen. Seine vielseitigen Begabungen ließen ihn immer wieder Werke von zeitloser Dauer erschaffen. Er hatte mit seinem literarischen Schaffen jedoch wenig Fortune, fand keinen Gönner seiner Werke und lies sich keiner Epoche oder Stilrichtung recht zuzuordnen - letztere sind Umstände, die heute die Zeitlosigkeit seines Werkes begründen.

Heinrich von Kleist

Heute ist Heinrich von Kleist der modernste Dichter der klassischen Zeit - ein moderner Klassiker. Kleists Werke sind zeitlose Klassiker. Seine Werke sind eine Mischung aus Hoffnung, Verzweiflung, Mut und Angst - genau wie Kleists Leben. Kleist gind es um das Leben. Das macht ihn bis heute modern.

"Jede große und umfassende Gefahr gibt, wenn ihr wohl begegnet wird,
dem Staat, für den Augenblick, ein demokratisches Ansehen."

Heinrich Kleist

Die Zeit und das, was Menschen durchlebten, kann man mit Kleist gut durchleben. Er ergriff das, was ihm in seinem Leben begegnet so entschieden, dass man durch ihn verstehen kann, was die Dinge einmal bedeutet haben. Kleist ließ sich von Ereignissen, Begegnungen und Erlebnissen regelrecht entzünden.

Ein Charakterzug Kleists, der so offentsichtlich ist, daß er nicht erwähnt wird: Kleist war extrem. In seinen erzählenden literarischen Werken und auf dem Theater ragt er durch Extreme heraus, sowohl in der Darstellung von menschlichen Bindungen und ihrem Scheitern, als auch in seinem radikalen Formwillen. Kleists Protagonisten sind von deutscher Innerlichkeit und Grübelei frei, sie handeln und scheitern in der Realität, das macht Kleists Werke bis heute für Leser in aller Welt so attraktiv.

Kleist war auf vielen Gebieten umtriebig und leidenschaftlich, sein Glücksstreben und sein Ideal, sich als freier Schriftsteller durchzusetzen, trieben ihn an. Er sehnte sich nach Ruhm, den er zu Lebzeiten nicht gewann, und nach einem Ruhepunkt in seinem Leben, den er erst in seinem in „unaussprechlicher Heiterkeit“ inszenierten Freitod fand.

Literatur:

Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher
Kleist. Dichter, Krieger, Seelensucher
von Peter Michalzik


Weblinks:

Heinrich von Kleist-Biografie - www.die-biografien.de

Heinrich von Kleist-Zitate - www.die-zitate.de

Man kann in Kleist jenen Dichter sehen, der die Moderne und ihre Meinung von Hobbes bis Rousseau, die Vernunft würde mit Kant das menschliche Sein bessern, Lügen straft. Der Traum der Vernunft gebiert Ungeheuer. Ist es nicht dieses Goya Bild, welches die Umkehrung zeigt, wie eben jener Kleist sich selbst erkennt in dem Moment, wo er merkt, wie gefährlich er sich selbst gegenüber ist?

Donnerstag, 4. September 2025

»Der Zauberlehrling« von Johann Wolfgang Goethe



Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!

Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder!
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!

Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! -
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen!
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach, und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!

Nein, nicht länger
Kann ichs lassen:
Will ihn fassen!
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O, du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!

Willst am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten!

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!

Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Möchte!

Und sie laufen! Naß und nässer
Wirds im Saal und auf den Stufen:
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister, hör mich rufen! -
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.

"In die Ecke,
Besen! Besen!
Seids gewesen!
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister."

»Der Zauberlehrling« von Johann Wolfgang Goethe