»Ein fliehendes Pferd«
Den Schriftsteller Martin Walser muss man von seiner Herkunft verstehen. Er wurde stark durch die alemannisch-schwäbische Bodenseeregion geprägt. Dies wird deutlich in dem autobiografisch gefärbten Roman »Ein fliehendes Pferd«, in dem Walser sein mittleres Lebenalter literarisch verarbeitet.
Walser erzählt in seiner Novelle »Ein fliehendes Pferd« eine muntere Beziehungsgeschichte zwischen zwei Paaren im mittleren Alter, die auf einer zufälligen Urlaubsbegegnung am Bodensee beruht. Walser stellt zwei Männer in deren Lebensmitte dar, die unterschiedlicher nicht sein könnten. Der eine angepasst, fast spießbürgerlich - jedenfalls aber vergangenheitsverhaftet und kopflastig. Der andere lebensfroh bis zum Exzess, auch wenn es nur Kulisse bzw. Fassade ist.
Helmut Halm, Lehrer und Mittvierziger hat sich mit seinem Leben abgefunden, dass ohne jede Überraschung und Raffinesse vor sich hin plätschert. Nur nichts ändern, das bringt nur Mühe oder gar Stress und führt zu nichts, scheint seine Devise. Seit Jahren fährt er mit seiner Frau Sabine zum Urlaub an den Bodensee, dort möchte er seine Ruhe genießen und Lesen. Jede sportliche aber auch sexuelle Aktivität ist ihm ein Gräuel.
Als unversehens Helmuts alter Schulfreund Klaus mit seiner attraktiven Frau Helene am Urlaubsort auftaucht, ist es jedoch mit der Ruhe dahin. Voller Energie und Tatekraft nötigt er Helmut und Sabine eine Unternehmung nach der andren auf. Halm ahnt, diese Quälgeister wird man in diesem Urlaub nicht mehr los. Klaus Buch, außer sich vor Freude über das unverhoffte Wiedersehen mit seinem alten Studienfreund, beginnt, die Urlaubsplanung zu übernehmen. Klaus scheint den Stein des Glücks gefunden zu haben und genießt offenbar jede Minute seines Lebens. Dennoch beneidet er auch den gut situierten Helmut.
Die muntere Beziehungsgeschichte gipfelt bei Walser im Symbol des fliehenden Pferdes: Während eines Ausflugs der beiden Paare fängt Klaus übermütig ein durchgegangenes Pferd ein und führt es zu seinem Besitzer zurück. Helmut sieht hier seine eigene Situation gespiegelt. Er fühlt sich von der aufdringlichen, aktiven Art Klaus’ bedroht und fürchtet, von diesem in seiner wahren Identität erkannt zu werden. Ihm entgeht, dass sich auch Klaus hinter einer Fassade verbirgt. Erst als dieser Helmut während der gemeinsamen Segeltour drängt, sich seinem eigenen Lebensstil anzuschließen, wird offenbar, dass beide sich gegenseitig etwas vorgemacht haben.
Die stark von seiner Herkunft geprägte Beziehungsgeschichte gilt als Walsers erfolgreichstes und gelungenstes Werk. Die Novelle von 1978 wurde von Lesern und Kritikern gleichermaßen begeistert aufgenommen.
Literatur:
»Ein fliehendes Pferd« von Martin Walser
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