Versuchung & Vanek-Triloge
Faust - der Mann, der die Geister rief, nicht mehr los wurde. Der Faust-Stoff, die alte Geschichte des Menschen, der einen Pakt mit dem Teufel schließt, um Wissen und Macht zu gewinnen, wird von Václav Havel in seinem Schauspiel »Versuchung« in das 20. Jahrhundert verlagert, in ein Land, das Eingeweihte unschwer als »sozialistisch« identifizieren können.
Das merkt man z.B. daran, dass eine kalte Vernunft regiert, die entsprechend der materialistischen Doktrin des Staates alles Geistige unterdrückt; oder daran, dass man während der Arbeitszeit einkaufen geht, wenn es etwas in der Mangelwirtschaft so seltenes wie Orangen zu ergattern gibt.
Vielleicht auch daran, dass die Beschäftigten im Institut eigentlich nichts so Richtiges zu tun haben; das soll es ja auch gegeben haben. Ein merkwürdiges Institut, das sich als Wächter über die Vernunft versteht. Aber im real existierenden Sozialismus gab es so etwas, das war »die Partei«.
Hier arbeitet Dr. Heinrich Faustka, der sich für mehr als Marx und Engels oder Logik und Empirie interessiert: die Metaphysik hat es ihm angetan. Er will verstehen, was junge Menschen an in die Arme von Okkultisten treibt, will sich mit einer Wissenschaft, die die Frage nach dem »Wozu« ausklammert, nicht zufrieden geben, sucht nach Sinn und – trifft auf Fistula.
Dieser stellt sich als Esoteriker vor, der Faustka zu Diensten sein will in seinen eigenwilligen Forschungen. Der Doktor gerät nun auf Abwege, die ihn in den Konflikt mit dem Chef des Instituts treiben und seine Liebe zu Wilma gefährden. Wer beizeiten seinen Goethe gelesen hat, ahnt, dass es kein gutes Ende mit Faustka nehmen wird. Aber wer ist Fistula wirklich, wer ist der »Chef«?
Václav Havel schrieb »Die Versuchung« als Kritik an den ideologischen Zuständen in den letzten Jahren des kommunistischen Systems. Nachdem 1968 der Versuch, in der Tschechoslowakei einen »Sozialismus mit menschlichem Antlitz« zu verwirklichen, also den Sozialismus mit der Freiheit zu versöhnen, von den »Bruderländern«, also den anderen Ostblockstaaten, mit militärischer Gewalt niedergeschlagen wurde, begann in der ČSSR die Phase der »Normalisierung«.
Liberales Gedankengut wurde unterdrückt, unzuverlässige Politiker ausgetauscht und Künstler wie Václav Havel mundtot gemacht. Havel ließ sich das freie Wort aber nicht verbieten, wurde zum Abweichler, zum »Dissidenten« und dafür wiederholt eingesperrt. Seine Theaterstücke zeigen eine Welt der Sinnlosigkeit, des Stillstands, in der Individuen wie Heinrich Faustka zu Außenseitern werden, die auf sehr subtile und sehr wirkungsvolle Art vernichtet werden.
Dieses System sorgte sich um seine Bürger, indem es sie bespitzelte: „Ich liebe (euch) doch alle“, verkündete Erich Mielke, der Minister für Staatssicherheit, am 13. November 1989 in der Volkskammer der DDR. Darüber durfte und darf gelacht werden.
Die Geschichte des Dr. Heinrich Faustka schrieb Havel 1985, Ssie wurde ein Jahr später in Wien uraufgeführt. Nur wenige Jahre später brach die kommunistische Diktatur in Europa zusammen. Die politische Verfolgung Havels hatte ein Ende, das Suchen Heinrich Faustkas jedoch nicht.
Weblinks:
Václav Havel: Die Versuchung - Theatergruppe am Pfalz-Kolleg - www.zotova.de
Versuchung & Vanek-Triloge von Vaclav Havel
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