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Samstag, 10. Juli 2021

»Freelander« von Miljenko Jergovic

Freelander
Freelander

Der Kroate Miljenko Jergovic, der zu den größten osteuropäischen Autoren zählt, ist ein wirklich großer Erzähler, der sich durch seine grandiose, erzählerische Phantasie auszeichnet, wobei es ihm seine Menschenkenntnis erlaubt auch immer wieder die Finger in die Wunden zu legen, die die jüngere Geschichte des Balkans gerissen hat. Die Botschaft in »Freelander« ist wieder unmissverständlich zwischen den Zeilen platziert. Krieg ist totaler Irrsinn, den Sieg erringt derjenige der den Krieg vermeidet, denn durch den Krieg wird dem Menschen alles genommen.

Wie schon sein Roman
»Buick Rivera«, so nimmt auch Freelander, sehr schnell rasante Fahrt auf. Der Protagonist Professor Karlo Adum, pensionierter Gymnasiallehrer für Geschichte. 1975 hatte er sich in einem Anflug von jugendlichem Leichtsinn den auf dem Cover abgebildeten Volvo gekauft, ein Auto das sich damals eigentlich niemand leisten konnte. Das Auto ist gleichzeitig ein Symbol dafür, dass sein Leben nach vielen Höhen und Tiefen aufgehört hat. Die Fronten sind komplex - das Auto ist westlich, die Geisteshaltung des Lehrers schwer definierbar.

Er bekommt eines Tages ein Telegramm aus seiner Geburtsstadt Sarajewo. Sein Onkel, von dem er glaubte er sei schon längst tot, ist im Alter von 102 Jahren gestorben. Er wird nun gebeten, als einer von drei Erben, das Erbe anzutreten. Unter schrecklichen Umständen musste er als Kind Sarajewo verlassen und ist in Zagreb gelandet. Widerwillig, mit großen inneren Ängsten entschließt er sich letztendlich sich auf den Weg nach Sarajewo zu machen. Weil er glaubt nun durch Feindesland zu kommen bewaffnet er sich mit einer Pistole. Vielleicht war diese Entscheidung richtig.


»Freelander« von Miljenko Jergović ist eine Schilderung einer Reise in die Vergangenheit - eine Reise nach Sarajewo in einem alten, geliebten und auch gehassten Volvo. Eine Reise in die blutige Vergangenheit der Region, die Balkan genannt wird. Und eine Reise in die eigene Vergangenheit. Karlo Adum macht sich auf diese Reise und hängt dabei seinen Gedanken und Erinnerungen nach. Dieses assoziative Erzählen zieht einen von Anfang an in den Bann, denn es ist wild, böse, archaisch, mal liebevoll, mal pathetisch. Ich werde mir die anderen Werke von Jergovic besorgen, unbedingt.

Karlo Adum, pensionierter Geschichtslehrer aus Zagreb, wird zu einer Testamentseröffnung nach Sarajevo zitiert. Widerwillig setzt er sich in seinen alten Volvo und macht sich auf die Reise. Während der abenteuerlichen Fahrt steigen bittersüße Erinnerungen in ihm hoch – an seine grausame »Mama Cica«, den verrückt gewordenen Vater und seine eigenen Verfehlungen in einer Welt voller nationaler Animositäten.

Ein einsamer pensionierter Geschichtslehrer fährt von Zagreb zu einer Testamentseröffnung in Sarajewo. In der bosnischen Hauptstadt wurde er einst geboren und hier verlebte er - wie wir durch die vielen Erinnerungsrückblenden während der Autofahrt erfahren - seine Kindheit. Mit einem Vater, der nach einer Verstümmelung durch den Bruder geistig verwirrt ist, und mit einer Mutter, die sich opportunistisch zunächst mit Nazis und der Ustasha umgibt und sich nach dem Krieg problemlos mit den neuen Machthabern arrangiert. 

Der Protagonist ist arm dran, gesundheitlich angeschlagen und irgendwie durchaus sympathisch. Vor allem durch den Einblick in die Gedanken und Erinnerungen des alten Lehrers bekommt der Leser jedoch nach und nach einen durchaus ambivalenten Eindruck von der Hauptfigur. Wenn der Reisende im Volvo über seine Vorbehalte gegenüber Türken und Bosnier nachdenkt, wird er zwar nicht zum Schurken, zeigt aber schon ein beachtliches Scheuklappendenken und charakterliche Macken.

Ganz hervorragend gelingt es dem Autor, den Leser durch die Erinnerungen und Gedanken des Lehrers auf eine sehr zurückhaltende Weise mit der geistig-kulturellen Gemengelage der Gegend vertraut zu machen. Auch wenn es bei der Wahl eines Geschichtslehrers als Hauptfigur nahegelegen hätte, geschieht dies nicht durch ausgedehnte historische Exkurse. 


Die Verweise auf Kriege, auf vermeintlich und tatsächlich offene Rechnungen zwischen den Völkern der Region, werden nur eher knapp angedeutet. Aber es reicht, um zu ahnen, wie weit die historische Erinnerung in Jugoslawien zurückreicht und welche Ängste und wütenden Projektionen den Krieg in den 90er Jahren befeuert haben.

Literatur:

Freelander
Freelander
von Miljenko Jergović

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