Menue

Dienstag, 25. Juni 2024

Goldene Topf E.T.A. Hoffmann


»Der goldene Topf« ist ein 1814 erstmals erschiene Erzählung, die fünf Jahre später noch einmal überarbeitet wurde. Mit „Ein Märchen aus der Zeit“ ist die berühmte Erzählung des deutsch-romantischen Schriftstellers E.T.A. Hoffmann Der goldene Topf aus dem Jahr 1814 unterschrieben.

In der kunstvollen Erzählung wird Anselmus' Weg vom Tollpatsch zum Kopisten und letztlich zum Dichter im phantastischen Atlantis geschidelt. Atlantis heißt der Ort, in dem der Held des goldenen Topf sein ewiges Glück als Schriftsteller finden soll. Auf der Erde von ewigem Versagen und Tollpatschigkeit geplagt ist der Student Anselmus wenig glücklich. Als er am Allerseelentag auf dem Markt in Dresden den Apfelkorb einer alten Frau umwirft, ruft ihm diese einen Fluch hinterher. Anselmus lässt sich am Ufer der Elbe nieder und sieht im neben ihm befindlichen Holunderbusch eine Schlange, in deren blaue Augen er sich sofort verliebt. Noch nicht bereit, sich dieser magischen Liebe hinzugeben, sucht er Kontakt zu dem für das Philistertum vieler Charaktere in dieser Erzählung typischen, alten Freund Konrektor Paulmann, dessen Tochter Veronika an ihm interessiert ist, und ihn heiraten möchte, weil er angeblich Chancen auf den Titel des „Hofrats“ habe. Des Weiteren lernt er über einen weiteren Bekannten den Archivarius Lindhorst kennen, bei dem er eine Anstellung als Kopierer alter Schriften bekommt. Der alte Lindhorst ist ein verschrobener Charakter, doch genießt er auch Ansehen in der Bevölkerung. Bald stellt sich jedoch heraus, dass die rein äußere Tätigkeit als Alchimist und Bibliothekar nicht alles ist, was sich hinter seinem Charakter verbirgt. Er ist Träger verschiedener Zauberkünste und eröffnet Anselmus, dass die Schlange, die er einst am Ufer der Elbe gesehen, hat seine Tochter Serpentina ist. Er erzählt ihm eine magische Geschichte von der Feuerlilie und dem Salamander, von denen er abstimmt, und die einst in Atlantis, dem fernen, märchenhaften Ort, von dem er kommt, Krieg mit einem Drachen führen mussten. Lindhorst selbst ist als Nachfahre aus Atlantis verbannt und darf erst dann dorthin zurückkehren, wenn es ihm gelingt, seine drei Töchter zu verheiraten. Veronika, die Anselmus als ihren künftigen Gatten schwinden sieht, sucht sich Hilfe bei der alten Hexe, die einst in der Gestalt des Äpfelweibs aufgetreten ist, und steckt Anselmus in eine Art Reagenzglas. Lindhorst allerdings eilt ihm zu Hilfe, besiegt die Gegnerin und eröffnet Anselmus die Möglichkeit, mit Serpentina nach Antlantis zu gehen, da nun alle drei Töchter verheiratet sind. In ewiger Glücklichkeit leben sie dort fort, Anselmus kann seinem erträumten Beruf als Poet nachgehen und hat sämtliche, weltliche Kategorien hinter sich gelassen.


Die Erzählung hat viele sprachlich schillernde Seiten, die die Lektüre mit Sicherheit sehr bereichern. Allein die Szene am Ufer der Elbe, in der Anselmus fremden Stimmen nacheifert, und das Lispeln der Schlagen für das Rauschen des Windes hält, hat einen sehr magischen Charakter, in dem man sich wiederfindet. Die Erzählung beginnt recht klar und nachvollziehbar, verliert aber bald den logischen Handlungsstrang und setzt das Verständnis des Lesers für die verschiedenen, magischen Vorkommnisse in dieser Geschichte voraus. In der Annahme, hier auf eine möglicher-weise parabelartige, märchenhafte Geschichte zu stoßen, sieht man sich mit E.T.A. Hoffmanns Werk bald mit einer in Teilen abstrusen und undurchsichtigen Erzählung konfrontiert, von der man vieles erahnen muss, um der Handlung weiter folgen zu können. Wenn sich Türknäufe verwandeln, Schlangen auf einmal für Menschen anziehend sind, und jeder weiß, dass die alte Frau magische Fähigkeiten hat, damit sie Veronika einen Spiegel schenkt, ist dies aber für mich persönlich doch an vielen Stellen zu viel des Guten gewesen. Mir ist das Buch an einigen vielen Stellen entglitten, als es sich auch von seiner sprachlichen Kunstfertigkeit, die am Anfang angedeutet worden ist, trennte, und sich vielmehr auf das Ausschmücken der extrem komplexen Handlung konzentrierte. Was Hoffmann ehrt ist die grandiose Idee dieser wirklich kreativen, einfallsreichen Geschichte. Die Umsetzung ist aber – wenn man sein Werk mit anderen Texten der Romantik vergleicht – unnötig kompliziert. Für viele Leser mag gerade dieses „um die Ecken denken“ reizvoll sein, doch hat dieses intensive Verwirrspiel, das ständige Hin- und Her zwischen Real und Märchen, für mich von der Aussage der Erzählung abgelenkt. Anselmus strebt nach dem Glück, strebt danach, das sein zu können, was er sein will, in einer Gesellschaft, in der Erwartungen über dem eigenen Glück und dem eigenen Gedanken stehen. Eine interessante, intensive und wichtige Thematik, wie ich finde. Wenn man sich lange mit diesem Text auseinandersetzt, wird man sicher auch diese Aspekte finden. Doch ist es für mich bei diesem Buch ein wenig wie bei einen Witz: wenn man ihn erst erklärt bekommen muss, bzw. darüber nachgrübeln muss, wo der Gag versteckt sein könnte, ist der Spaß auch dann weg, wenn man die versteckte Ironie gefunden hat. Ein wenig so verblasst auch der Charakter des Anselmus, weil er erst durch das Abtragen zahlreicher Erzählschichten wirklich zum Vorschein kommt, und deswegen überhaupt nicht lebendig sondern nur durch aufwendige Textarbeit erkennbar und logisch erscheint. Von Plastizität der Figuren ist demnach nicht mehr zu reden. Auch das Verschwimmen der Welten wäre vielleicht eindeutiger und ergreifender gewesen, hätte Hoffmann seine literarische Kraft auf die Beschreibung der Gedankenwelt des Anselmus konzentriert, und nicht einfach die Annahme, der Leser würde schon herausfinden, was er meint, vorausgesetzt.

Doch hat die Erzählung natürlich auch ihre vielen, guten Seiten, denn nicht ohne Grund ist »Der goldene Topf« eines der angesehensten Bücher deutscher Sprache. Rein vom literarischen Niveau ist hier das Spiel mit den Erzählperspektiven noch abschließend zu nennen: die immer wechselnden Blickweisen, die vom auktorialen zum personalen Erzähler wechseln, dann in die Gedankenwelt des Anselmus eindringen und sie ebenso wieder verlassen, mit den Erzählungen des Archivarius Lindhorst aber auch gerne mal diesen Planeten verlassen und nach Atlantis fliegen, hat Hoffmann auf jeden Fall eine schriftstellerische Meister-leistung vollbracht. Und – auch wenn ich es für das reine Lesen und seine Wirkung eben kritisiert habe – natürlich ist auch die Vielschichtigkeit dieser Erzählung, das viele Verbergen und Verstecken der Handlung, eine literarische Leistung; denn: wenn man sich die Mühe gemacht hat, alles nach und nach aufzudröseln, jeden Satz fünfmal zu lesen um ihn zu verstehen, um zu begreifen, dass hier wieder einer dieser Sprünge stattgefunden hat, die uns wieder in eine ganz andere Geschichte und Personenkonstellation mitnimmt, dann wird man merken, dass dieses Kunstmärchen durchaus Sinn ergibt. Unter diesem Aspekt betrachtet kann man vielleicht auch als einfacher Leser ein wenig Freude an diesem spätromantischen Werk finden, das in mein Leben zwar mit seiner Aussage keineswegs eingegriffen hat, allerdings doch, in vielerlei Hinsicht, ein qualitativ hochwertiges Stück Literatur ist.

E.T.A. Hoffmann schreibt, und das steht außer Frage, romantik-kritische Texte – vielleicht ist auch das der zentrale Aspekt, warum uns seine Bücher heute so gefallen und warum sie so wenig kitschig und aus der Zeit gefallen scheinen. Die Lektüre des Sandmanns lohnt sich auf jeden Fall, ganz abgesehen davon, dass er mittlerweile hoch oben auf den Listen der Bücher steht, die man im Laufe seines Lebens gelesen haben sollte. Er ist an manchen Stellen besser zu verstehen als andere, ausgefallenere Werke Hoffmanns, ist aber meines Erachtens auch nicht fehlerfrei. Vielleicht ist er aber gerade deshalb für die Literaturwissenschaft so unheimlich reizvoll.

Die Erzählung ist in vielerlei Hinsicht ein für den viel gelesenen und auch oft geschätzten Hoffmann typischer Text, denn sie verlässt – wie für die Romantik übrig – die Realität in eine ferne, erdachte Parallelwelt, allerdings nicht mit den Mitteln, derer sich seine Artgenossen bedient haben werden (melodische, weltfremd anmutende Beschreibungsweise), sondern mit dem Mut, die weltlichen Kategorien vollkommen zu verlassen und wirklich in eine überirdische Welt abzudriften.

Literatur:

Der goldene Topf
Der goldene Topf
von E.T.A. Hoffmann


Der goldene Topf
von E.T.A. Hoffmann

Samstag, 22. Juni 2024

»Madame Bovary« von Gustave Flaubert

Madame Bovary

»Madame Bovary: Sitten der Provinz« von Gustave Flaubert ist das Hauptwerk des französischen Realisten Gustave Flaubert. Der Roman handelt von der Zerstörung des bürgerlichen Lebens durch seine Ideale. Der Roman erzählt vom Schicksal einer unglücklich verheirateten, ehebrechischen Frau, die aus den traditionellen Konventionen der Gesellschaft ausbrechen will und aufgrund ihrer Treulosigkeit scheitert.

Madame Bovary: Sitten der Provinz
Madame Bovary: Sitten der Provinz



Die junge, ein wenig verträumte Emma Rouault heiratet den biederen Landarzt Charles Bovary in der Hoffnung auf ein beschauliches Leben. Schon bald aber nimmt ihr die erdrückende Enge dieser Ehe die Luft zum Atmen. Erst flüchtet sie sich in die berauschende Scheinwelt der Literatur, dann gibt sie den Verheißungen nach, findet aber auch in ihren Abenteuern mit wechselnden Liebhabern nicht, was sie sucht. Ihr Leben gerät aus der Bahn. Der Roman führte nach seinem Erscheinen 1856 zum Skandal. Mitreißend und brisant ist er bis heute geblieben. (Flaubert, Gustave 1821 - 1880)

Madame Bovary, verheiratet mit dem Arzt Charles Bovary, bewohnt sie bis an ihr Lebensende die Einöde in Frankreichs Provinz. Sie träumt von dem magischen Ort Paris, ihren ritterlichen Romanhelden und sucht Befriedigung in der Liebe, die ihr ihr Mann nicht geben kann. Sie wird von den Männern viel umworben, sie ist ein Anziehungspunkt und eine Augenweide.

Madame Bovary

Bald beginnt sie Affären mit Léon und Rodolphe. Dabei fühlt sie sich wie beflügelt, frei und dennoch trägt sie Verantwortung für ihren Ruf, ihren Mann und ihr gemeinsames Kind. Letztendlich wird sie von Unmengen an Schulden heimgesucht und gibt sich dem Gift hin, um ihrem Leben ein Ende zu setzen.

Flauberts Roman erregte viel Aufsehen, da er - so der Untertitel des Buchs - "ein Sittenbild der Provinz" aufweist, einen Maßstab an Moral und Werten, der für die damalige Gesellschaft maßgebend war und eingehalten werden musste, wenn man nicht verstoßen werden wollte. Doch Emma Bovary durchbricht diese Regeln, sie schafft ihr eigenes Leben, um vollauf befriedigt zu werden, um der Gesellschaft zu trotzen, um sich den eigenen Freuden hinzugeben.


»Madame Bovary« ist eine Revolution, ein klassisches Werk, das dennoch in der heutigen Zeit stets aktuell ist und die unermüdlichen Bedürfnisse der Menschheit wiederspiegelt, die, unter gegebenen Umständen zu Problemen führen und letztendlich ins Verderben.



Die Geschichte vom unglücklichen Schicksal der Emma Bovary löste Mitte des 19. Jahrhunderts einen Sturm aus. Flaubert hatte die zeitgenössische Bourgeoisie mitten ins Herz getroffen und eine der großartigsten Figuren der Weltliteratur geschaffen.

Sein Roman »Madame Bovary«‹ löste bei seinem Erscheinen 1857 einen literarischen Skandal aus, in dessen Folge Flaubert vor Gericht erscheinen musste. Der einzige Kontakt zur Außenwelt war ein reger Briefwechsel mit seiner Geliebten Louise Colet und zahlreichen Schriftstellerkollegen wie z.B. Ivan Turgenjew.

Dem Romancier Gustave Flaubert ist der eigentliche Durchbruch zum Realismus dem mit seinem Roman »Madame Bovary«, einer Alltagsgeschichte der Desillusionierung einer an romantischen Idealen orientierten Ehefrau in der Provinz, welche im Ehebruch und Selbstmord endet, im Jahre 1857 gelungen.


»Das neunzehnte Jahrhundert glänzt mit dem französischen Roman, wie das sechzehnte von italienischen Bildern und Palästen strahlt.Von 1850 bis 1880 sitzt Flaubert auf dem Lande, oft monatelang ohne Menschen, und schreibt seine sechs Bücher. Hier vollzieht sich die letzte Anstrengung, die repräsentative Kunstgattung der Zeit auf ihren Gipfel zu führen.«

Beginn von Heinrich Manns Essay aus dem Jahre 1905: »Gustave Flaubert und George Sand«; zitiert nach: Heinrich Mann: »Geist und Tat«, dtv 100, München 1963; S. 74

Für Maupassant, Zola, Proust, Heinrich Mann und andere wurde »Madame Bovary« zum absoluten Maßstab des eigenen Schaffens, für alle Späteren - auch für Kritiker wie Sartre - zu einem Bezugspunkt, an dem die Entwicklung des modernen Romans gemessen werden kann.

Als diese lang erwartet Neuübersetzung von »Madame Bovary« erschien, dem Hauptwerk des französischen Realisten Gustave Flaubert, bescheinigte ihr die Kritik, die »beste, die am meisten Flaubertsche« zu sein.

Weltliteratur, die man gelesen haben sollte:

Madame Bovary: Sitten der Provinz
Madame Bovary: Sitten der Provinz
von Gustave Flaubert

»Peer Gynt« von Henrik Ibsen

Peer Gynt

»Peer Gynt« entstand auf der Vorlage norwegischer Feenmärchen von Peter Christen Asbjørnsen. Sie waren zwischen 1845 und 1848 unter dem Titel »Norske Huldre-Eventyr og Folkesagn« erschienen. »Peer Gynt« nimmt sehr viel Anleihen an norwegischen Märchen, es wimmelt darin von Trollen und anderen Gestalten.

Der Romanheld Peer Gynt basiert auf einer historischen Figur aus dem 17. Jahrhundert, die im norwegischen Gudbrandsdalen gelebt hat. Henrik Ibsen schuf mit »Peer Gynt« nach der Vorlage einer alten norwegischen Sage vor 150 Jahren ein zeitloses, sinnliches, von Phantasie und skurrilen Figuren überbordendes Theaterfeuerwerk, voller Wärme und Humor, eine schonungslose Selbstanalyse, ein bezauberndes, trauriges, fröhliches, grimmiges Theatermärchen.

Ibsen kreierte einen schelmischen Taugenichts, der auf der Suche nach sich selbst ist und mit immer neuen Herausforderungen konfrontiert wird.

Peer Gynt i Dovregubbens Hall

Wenn Peer Gynt anfängt zu erzählen, wissen alle: er lügt! Aber er lügt so phantasievoll und charmant, dass die Dorfbewohner seine Geschichten immer wieder hören wollen. Er träumt sich in eine bessere Welt hinein, seine verwitwete Mutter und die bitterarmen Nachbarn lassen sich immer wieder von ihm einwickeln.

"Ich habe nicht, aber ich bin, und wie ich bin, bin ich." [...] Und vielleicht Ist der
Menschenheld nicht die monströse Ausnahme, sondern einer, der Wiederholung besser meistert."
(Ralph Waldo Emerson: in Erfahrung)

Wenn man der Intuition Paul Valerys folgt, der betont, dass der Mensch durch Abstraktion gestaltet und so aus der Zeit und dem Kosmos genommen werden kann, dann kann er als der Eigene benannt werden. "Der Mensch wird nicht ein anderer den er zuvor gewesen, nein, er wird er selbst. [...]; denn das Große ist nicht, dies oder das zu sein, sondern man selbst zu sein; und das vermag ein jeder Mensch, so er will", lesen wir bei Kierkegaard.

Nimmt man diese beiden Prämissen, ist man im Kern des Versdramas in 5. Akten des größten norwegischen Literaten: Henrik Ibsen (1828-1906). Sein Peer Gynt ist ein Sich-Suchender und wie viele Romane dieser Zeit, so fordert auch Ibsen seinen Protagonisten, das eigene Leben neu zu gestalten. Wenn du Leben in dir hast, so kommt es zu dir auf unbekannten und ungewohnten Wegen, ist eine Botschaft von R.W. Emerson in seinem Essay: Selbstvertrauen. Diese ungewohnten Wege entdecken wir hier bei Ibsen, dem an Ideen, Phantasien und Humor nichts fehlt.

"Peer, du lügst!" So direkt stößt Ibsen den Leser in das Versdrama und alles wird klar. Was nun kommt, ist Phantasie, Möglichkeit, Abwägen oder um Kierkegaard zu folgen, die große Frage des Menschen nach dem Selbst oder nach dem Verhältnis, oder besser, was man sein will, wenn man sich selbst sein will. Peer weiß, der er er selbst sein will, weiß aber nicht wie. Und so führt Ibsen ihn in die Welt der Phantasmen, in der er jede beliebige Person sein kann. Er prüft praktisch verschiedene Verhaltensweisen, Denkweisen, um zu lernen durch Entwicklung. Seine Beziehung zu Frauen, zur Mutter wird vielschichtig abgewogen, sein Wille, mehr zu werden als das er ist, läßt ihn zum König, Kaiser werden, ihn durch Wüsten reiten oder vor dem großen Meer staunen, als Metapher für das Rätselhafte, dass kommen soll.

Wenn das ewig Weibliche für Ibsen und Peer bemüht wird, dann lesen wir direkt die Anverwandlung von Goethes Faust II, (vielleicht liegt darin die Ursache, dass Peer Gynt der Faust des Nordens genannt wird) Aber insbesondere geht es um die Kristallisation des "gyntschen Ichs, - das ist das Heer / Von Wünschen, Lüsten und Begehr, -". Dieses als eine Version der Selbstfindung zu sehen, heißt die Möglichkeit zu prüfen. Aber der größere Wert liegt im "wahlfreien Lauf" des Lebens. Hier steht die große entweder-oder Position, nämlich alles ohne Wahl zu bekommen oder ins Nichts zu gehen, wo keine Wahl mehr notwendig ist. "Was sei des Mannes Streben? / Er selbst zu sein, er selbst - nicht wahr?" Mag hier noch durch die Frage Zweifel angedeutet sein, so kann man sicher sein, dass Peer Gynt in all seinen Eskapaden nicht verzweifelt ist. Furcht tritt auf für den Augenblick, keine Angst. Auch hier steht Kierkegaard Pate, denn die Unterscheidung zwischen Furcht und Angst ist bewusst gewählt.

Peer Gynt ist also zunächst ein lauter Prahler, ein vorgeblicher Alleskönner, dem nichts zu schwer, nichts zu probieren, zuwider ist. Er raubt die Braut während der Hochzeit, will beliebig tanzen ohne eingeladen zu sein, streitet mit seiner Mutter, die ihn einen Lügner nennt, wie den Vater einen Säufer. Verprasster Reichtum läßt die Gynts verarmen, nur die Versprechungen eines Nichtsnutz Peer blühen ins Phantastische, auf den die Mutter dennoch nichts kommen lässt. Die geraubte Braut Ingrid läßt er nach einem Tag laufen, flieht in den Wald, trifft auf Trolle, Dämonen und Kobolde, erfindet eben jene Phantasiegeschichten und letztendlich, müde von all dem, kommt er zurück in den Schoß seiner Geliebten Solvejg, umschienen von der romantisch untergehenden Sonne. Sie war wartend wissend ihrer Liebe, Peer mußte durch das Leben streifen, um zu entdecken, was sein Leben sein soll, was sein Leben ist, was sein Selbst ist. "Wo war ich? ist seine Frage und Solvejg in der Anverwandlung an 1Kor 13,13: "In meinem Glauben, in meinem Hoffen und in meinem Lieben."

Nun mag dieses als happy-end zum Lebensende erscheinen. Peer Gynt stirbt wie einst Apollo in John Keats Hyperion ins Leben ("Ein Tod voll Leben"). Doch die Symbolik eines Ibsen macht dieser Idee einen Strich durch die Rechnung. Richtig gefunden hat Peer seine Liebe ("Hier war mein Kaisertum"), sich selbst betrachtet er jedoch wie eine Zwiebel, der man Schale um Schale entfernt und dann auf keinen Kern stößt. Peer Gynt hat also bildreiche Episoden seines Lebens beschrieben, aber noch nicht seinen wahren Charakter. Aber vielleicht ist hier auch eben jene hellenistische Botschaft, dass nur dort die Dinge im rechten Lichte erscheinen, wenn wir sie wirklich leben: im Tun, in Taten lösen sich die Rätsel der Sprache, wie Hofmannsthal es mal formulierte. Ibsen war mit diesem Versdrama "Peer Gynt" und der darin liegenden Sprachkraft wegweisend für die Jugendbildung des Carlo Michelstaedter, der u.a. hier die Wahrheit des Augenblicks als Überzeugung entdeckte. Ihm und seinen Freunden hat Claudio Magris später jenes andere Meer gewidmet als bravouröse Erzählung.

Harold Bloom hält Ibsen für den bedeutendsten westlichen Bühnenautor seit Shakespeare. Shakespeare hat den Menschen in den Mittelpunkt gestellt. Bei Ibsen gibt es auch Menschen, doch sieht man scharf und genau, dann entdeckt man Ibsens Klasse in der Schärfe der Betrachtung eines Menschentypus, eben diesen Peer Gynt, ironisch, reflektierend, sich selbst kopierend. Ibsen über Ibsen: "Es muss ein Troll mir die Feder führen."


Gynt ist ein "halber Sünder", weder gut noch schlecht - er ist ein unernster Renommist. "Peer Gynt" ist neben seinen realistischen Meisterwerken wie z.B. "Nora" eines der großen, zeitlosen Stücke des großen Norwegers Henrik Ibsen.

Literatur:


Peer Gynt
von Henrik Ibsen


Peer Gynt
von Henrik Ibsen

»Der Bauch von Paris« von Emile Zola


Der Bauch von Paris

Emile Zola unternahm den Versuch, die gesamte menschliche Gesellschaft seiner Zeit in einer gewaltigen Romanfolge darzustellen. Von 1869 bis 1893 konzipierte er, nach dem Vorbild von Balzac, die meisten seiner Romane als Teile eines Zyklus mit dem Titel »Les Rougon-Macquart«. Die biologische und soziale Geschichte einer Familie im Zweiten Kaiserreich. Der Roman-Zyklus »Les Rougon-Macquart« erzählt die Geschichten der beiden Familien Rougon und Marquart.

Im dritten Band der Rougon-Macquart-Reihe schildert Zola das Leben und Sterben in den Pariser Hallen, wo Hunger und gewaltiges Überangebot an Lebensmitteln nebeneinander existieren können. Im Mittelpunkt steht die Familie der Lisa Macquart, welche den Fleischer Quenu geheiratet hat und die mit ihrer Familie nach bescheidenem Wohlstand strebt. Den Gegenpart zu Lisa bildet der der Bruder ihres Mannes, welcher wegen revolutionärer Umtriebe in die Verbannung geschickt war und der eben erst inkognito fast verhungert und mit knapper Not nach Paris zurückgekehrt ist. Zola schildert den Widerstreit zwischen dem bürgerlichen Wohlstand der Familie Lisas sowie den dilettantischen revolutionären Umtrieben ihres Schwagers, welche am Ende in erneuter Verbannung enden.

Die eigentliche Hauptrolle dieses Bandes spielen aber die Pariser Hallen: eine solch bildreiche und detaillierte Beschreibung der Händler in den Markthallen sowie der ungeheuren Mengen an Lebensmitteln hat es in dieser Plastizität noch nicht gegeben.

Mit diesem Roman zeichnet Zola eine Beschreibung des Menschenschlages, den man wohl heute als "Mittelschicht" beschreiben würde, die ihres gleichen sucht. Eindrucksvoll und stimmig werden Parallelen zwischen der aus allen Sinnen schöpfenden Beschreibung der Lebensmittel zur Lebensweise und den Charakteren der Protagonisten gezogen.

Es gibt die "fetten" und zufriedenen, die sich auf ihrem Platz eingerichtet haben und auf alle anderen herbschauen, sich für rechtschaffen und ehrlich halten, und dennoch nicht nicht scheuen, Außenseiter mit allen Mitteln aus ihrem Umkreis zu entfernen. Es gibt die Heuchler und Klatschbasen, die um eines kleinen eigenen Vorteils Willen andere opfern, die Schwätzer und die Aufschneider. Es gibt die Denkfaulen.

Aber es gibt auch die Unabhängigen - unabhängig nicht nur von dieser nur auf sich bezogenen Gesellschaft des Stadtviertels, sondern unabhängig eben auch von den allgegenwärtigen Nahrungsmitteln. Der gebildete, aber erfolglose Maler auf der Suche nach der modernen Kunst, der alles aus der Distanz betrachtet und auch stets die solche behält.

Zola zeichnet ein zeitloses Gesellschaftsportrait.

3849695239

»Die Odyssee« von Homer

Die Odyssee
Die Odyssee

Das griechische Epos »Odyssee« schildert die abenteuerliche Irrfahrt des griechischen Gottes Odysseus und die Kämpfe um die kleinasiatische Stadt Troja.

Odysseus gerät nach dem Sieg über Troja, da ihm einige Götter missgünstig sind, in allerlei Abenteuer in der Ägäis und sonstwo (wer erinnert sich nicht an die Kirke, die Sirenen, den Zyklopen, Skylla und Charybdis etc.), die ihn am Heimkehren hindern, während zu Hause allerlei Freier sein Haus und seine Gattin belagern, um sich in beider Bessitz zu bringen, während sie schmausend und trinkend seinen Vieh- und Weinbestand verprassen.
Am Ende kehrt aber Odysseus dann doch heim und dank Tricks und Beistands der göttlichen Athene sowie einiger Getreuer ermordet er die unbewaffneten Freier und lässt auch noch die wehrlosen Mägde, die seiner während der Abwesenheit spotteten, am Halse aufhängen.

Jahre nach dem Ende des Trojanischen Krieges ist der griechische Held Odysseus noch immer nicht nach Ithaka zurückgekehrt. Die meisten Leute denken, dass er tot ist. Schon bald lässt uns Homer wissen, dass Odysseus auf der Insel der Göttin Calypso gefangen gehalten wird. Oh, und der Meeresgott Poseidon ist bei Odysseus verärgert und sieht keinen Grund, ihn nach Hause zu lassen.

Bei seiner Rückkehr nach Ithaka 20 Jahre späterwird Odysseus' Frau Penelope von einer Horde unerwünschter Freier überhäuft, bereit, den "toten" Odysseus zu ersetzen und natürlich nach Penelopes Hand und dem Thron der Insel zu suchen! Die Freier haben sich im Palast niedergelassen und weigern sich zu gehen, bis Penelope einen von ihnen als ihren Ehemann akzeptiert.

Odysseus wird viel gelobt. Von Göttern, von seinen Untergebenen, seiner Frau, den Lesern des Texts über Jahrhunderte. Doch wenn man sich sein Verhalten und seine Gedanken mal genauer anschaut, ergibt sich kein so wirklich erbauliches Bild: Das erste, auf das er sinnt, als er nach jahrelanger Irrfahrt nach Hause kommt, ist nicht, seinen Familie in die Arme zu schließen. Nein, er denkt an Rache. Blutige Rache, und eine seiner Ängste dabei ist, dass er allein nicht alle Freier seiner Frau erschlagen können wird, dass er dazu Hilfe braucht.

Dass Homers Texte an Brutalitäten nicht sparen, sollte jedem Leser, der die eigentlich unbedingt vorher zu lesende Ilias kennt, klar sein. Dagegen gehts in der "Odyssee" doch recht zivil zu, nur der Schluss glänzt in bester Arnold-Schwarzenegger-Manier mit einem wirklich gut gemachten Showdown, der sogar heutigen, abgehärteten Lesern kurz den Atem stocken lässt, weil er in dieser Form etwas unerwartet kommt.

Die größte Überraschung vieler Leser wird allerdings sein, dass sich die Odyssee eigentlich nur zweitrangig mit den Irrfahrten des Titelhelden beschäftigt. Viele der Szenen, die heute jeder aus Film, Fernsehen und anderen Adaptionen kennt, wie die Blendung des Kyklopen oder die Wachspropfen in den Ohren der Mannschaft, um den Sirenengesang zu mildern, werden auf wenigen Seiten abgehandelt.

Das Hauptaugenmerk liegt für Homer nicht in den Abenteuern der Irrfahrt, sondern in der Heimkehr eines verloren geglaubten Helden, mit dessen Art, mit Verlust und Heimweh umzugehen, und mit einem Umfeld in der Heimat, das sich völlig verändert und still vom einst geschätzten Hausherrn entfremdet hat. Dabei entsteht ein dichtes Psychoprofil eines trotz endloser Widerstände nie aufgebenden Menschen, das trotz seines Alters von 3.000 Jahren unglaublich modern, aktuell und vor allem kraftvoll ist:

Zuhause ist Odysseus mehr ein Fremder in einem fremden Land (geschickt vom Dichter wird die innere Entfremdung durch Odysseus' äußere Verwandlung durch Athene angedeutet), als auf all den vielen Stationen seiner Reise. Viele Kriegsrückkehrer aus allen Jahrhunderten werden seine Gefühle verstehen können.

Trotz des bluttriefenden Endes erweist sich der Dichter Homer als virtuoser Geschichtenerzähler, der mit seiner blumigen Sprache die prangenden, mannhaften Helden in ihren pferdenährenden Landschaften adjektivtriefend zur Geltung kommen lässt. Jeder Literaturfreund sollte daran seine Freude haben. Auch ist die Geschichte, die ja am Ursprung der abendländischen Dichtung steht, auch heute noch aktuell und gut verständlich, eröffnet auch einen malerischen Blick auf die altgriechische Gesellschaft und ist ein Stück Sittenbild.

Diese Modernität und Kraft spürt man allerdings kaum, wenn man sich mit der uralten, für mich zumindest kaum lesbaren versmaßtreuen Übersetzung von Voss Homer nähert. Dort geht alles in einem Gewust von toten Wörtern, gezwungenen, künstlichen Reimen und undeutscher Satzstellung unter - man beschäftigt sich so sehr damit, das Deutsch Vossens zu verstehen, dass man den Sinn und die Atmosphäre des Texts gar nicht mehr würdigen kann.

Daher ist Wolfgang Schadewaldt um so mehr zu danken, der mit dieser Prosaübersetzung eine wunderbar lesbare und trotzdem nicht zu modernisierte Fassung des uralten Epos vorlegt. Man spürt das Alter des Texts, den Rhythmus, die Sprachgewalt, und es geht nichts verloren, wenn Schadewaldt den Hexameter fallen lässt. Der heutige Leser darf daher keine Sprache wie in einem modernen Roman erwarten.


Weblinks:

Eine Reise in die Mythologie; Ithaka & Homers Odyssee - www.itinari.com

Homer -Biografie - Biografien-Portal - www.die-biografien.de



Homer-Zitate - Zitate-Portal - www.die-zitate.de


Literatur:

Die Odyssee
Die Odyssee
von Homer

Ilias Odyssee
Ilias Odyssee
von Homer

Samstag, 15. Juni 2024

Deutsche Literatur in Prag

Altstädter Ring mit Teynkirche

< Prag trägt nicht zu unrecht so schmückende Beinamen wie "Goldene Stadt" oder "Hunderttürmige Stadt". Der Name "hunderttürmiges Prag" ist schon seit mehreren Jahrhunderten bekannt. Inzwischen kann man in der Stadt rund 500 Türme und Aussichtstürme aus verschiedenen Epochen zählen. In der Baukunst der Stadt verschmelzen Barock, Rokoko, Jugendstil und Kubismus. Prag ist jedoch auch eine bedeutende Stadt der Literatur.



Vor 100 Jahren gab es in Prag eine lebendige Literaturszene mit einer langen literarischen Tradition. Damals lebten dort viele deutschsprachige Schriftsteller in der Stadt an der Moldau, die lesbare Spuren hinterlassen haben. Eine Annäherung an Prag und an seine literarischen und künstlicherischen Größen, an die Menschen, die hier gewirkt und von hier aus Prag und Böhmen berühmt gemacht haben.

Karlsbrücke in Prag
war einmal eine Stadt, in der es eine lebendige deutschsprachige Gemeinschaft gab, die  vor allem von jüdischen Autoren wie Franz Kafka und Max Brod bestimmt wurde. Sie lebten in einer abgeschlossenen Welt der Literatur – die mit dem Holocaust und der Vertreibung der deutschsprachigen Bevölkerung nach dem Zweiten Weltkrieg verschwand. Seit 2004 bemüht sich das Prager Literaturhaus darum, dieses literarische Vermächtnis zu erhalten und zu fördern.


Kafka beschrieb in seinen Werken das böhmische Prag mit seinen deutschen, jiddischen und tschechischen Bewohnern.



Es ist eine ironische Nuance, daß Prags fremder Sohn Franz Kafka heute das Aushängeschild der jüdischen Literaten Prags ist, obwohl er selbst nie von seinem eigenen Talent überzeugt war und seinen unveröffentlichten Nachlass nach seinem Tod zerstört haben wollte. Kafkas letzter Wille: "Alles dieses ist ausnahmslos zu verbrennen und dies möglichst bald zu tun." - Um Kafkas Vermächtnis muss man sich also keine Sorgen machen. Deshalb macht es sich das Prager Literaturhaus zur Aufgabe, die Werke seiner weniger bekannten Kollegen zu erhalten.

Moldau-Brücke im Nebel


Franz Kafka
Franz Kafka gilt als der rätselhafte Sonderling der großen Literaten des 20. Jahrhunderts, als ihr undurchschaubarster Vertreter. So rätselhaft wie der Schriftsteller, so rätselhaft war auch seine Welt. In seiner Heimatstadt Prag hat sich Kafka literarisch eine eigene Welt, einen eigenen Kosmos erschaffen.

Literatur:

Kafkas Welt ist düster und bedrohlich, der Mensch wird von anonymen Mächten bedroht und steht ihnen hilflos gegenüber. Er ist diesen Mächten ausgesetzt. Kafkas Welt ist eine allgemeine Chiffre auf die Bedrohung des Menschen durch die moderne Zeit.

Weblinks:

Kafka und Prag - www.kafkaesk.de

Prag um 1900 - www.kafkaesk.de

Kafka-Museum

Franz Kafka

Kafkas Testamente

Ein Roman als Biografie - oder umgekehrt - www.cicero.de


Literatur:


Im Licht der Goldenen Stadt
von Franz Loquai

Kafkas Welt: Eine Lebenschronik in Bildern
Kafkas Welt: Eine Lebenschronik in Bildern
von Hartmut Binder

Die Philosophie im Werk von Thomas Bernhard

Thomas Bernhard

Wer Bücher liebt, wer sich für die Machart von literarischen Texten interessiert, wird immer auch auf die philosophischen Inhalte eines Autors achten, auf die formalen Extravaganzen, das Eigenwillige und Einmalige.

Die Philosophie spielt im Werk von Thomas Bernhard eine zentrale Rolle. In seinen Texten finden sich mannigfache direkte und indirekte intertextuelle Bezüge, die von Michel de Montaigne und Blaise Pascal bis Gottlob Frege und Ludwig Wittgenstein reichen. haben Anklang gefunden

Bereits als Knabe studierte er, angeleitet von seinem Großvater, dem Schriftsteller Johannes Freumbichler, Hegel, Kant, Kierkegaard und Schopenhauer. Bernhard selbst bezeichnete sich als eine Art „philosophischen Aasgeier“.

Doch reicht die Bandbreite seiner - stets apodiktisch vorgetragenen - Aussagen bezüglich des Wertes der Philosophie von absoluter Bejahung bis hin zur uneingeschränkten Ablehnung. Die Philosophie sei ihm einerseits nicht weniger als „die mathematische Lösung des Lebens“, die den Ausweg aus der als sinnentleert empfundenen Welt bietet. In Der Weltverbesserer dagegen heißt es:

„Einmal habe ich Montaigne vertraut / zuviel / dann Pascal / zuviel / dann Voltaire / dann Schopenhauer / Wir hängen uns so lange an diese / philosophischen Mauerhaken /
bis sie locker sind / und wenn wir lebenslang daran zerren / reißen wir alles nieder."

Mit Wittgenstein verbindet der Hang zu philosophischer Betrachtung und ebensolcher Sicht auf die Welt. Wittgenstein fungiert in dem Stück als Professor in Cambridge lediglich als eine literarische Andeutung in Gestalt des Professors Josef Schuster.

Die Besonderheit an Ludwig Wittgenstein war sein radikal neuer Denkstil. Ein unreflektierter Sprachgebrauch und die konventionelle Verwendung von Begriffen innerhalb der Philosophie sind für Wittgenstein die Ursache der Verwirrung beim Lösen philosophischer Probleme. Die sinnvolle Sprachverwen dung einer normalen Sprache in sinnvollen Kontexten ist sein Lösungsansatz. Wittgenstein lieferte jedoch keine explizit formulierte Theorie und ließ trotz seiner konzisen, klaren Sprache Spielraum für die eigenen Gedanken des Lesers.

Als Erster seiner Berufsgattung die Sprache in den Mittelpunkt seiner Theorien gestellt und eigene Theorie über Sprache entwickelt. „Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt“, lautet ein seine Weltsicht fundierendes Diktum. Der österreichische Philosoph übte mit seiner Theorie über Sprache einen wesentlichen Einfluß auf die Literatur aus.

Thomas Bernhard hat, noch ehe er auch als Theaterautor reüssierte, sein Schreiben einmal als performativen Akt charakterisiert: Man denke sich eine Bühne in totaler Finsternis, auf der es, sobald die Worte erscheinen, allmählich licht wird.

»Alle Menschen seh ich leben« von Novalis



Alle Menschen seh ich leben
Viele leicht vorüberschweben
Wenig mühsam vorwärtsstreben
Doch nur Einem ists gegeben
Leichtes Streben, schwebend leben.

Wahrlich der Genuß ziemt Toren
In der Zeit sind sie verloren,
Gleichen ganz den Ephemeren[.]
In dem Streit mit Sturm und Wogen
Wird der Weise fortgezogen
Kämpft um niemals aufzuhören
Und so wird die Zeit betrogen
Endlich unters Joch gebogen
Muß des Weisen Macht vermehren.

Ruh ist Göttern nur gegeben
Ihnen ziemt der Überfluß
Doch für uns ist Handeln Leben
Macht zu üben nur Genuß.


»Alle Menschen seh ich leben« von Novalis




Novalis-Gdichte:

Gedichte
Gedichte
von Novalis

Parzival-Epos

Pazival

Parzival ist ein Epos von Wolfram von Eschenbach. Eschenbach konnte weder lesen noch schreiben. Seine Gedichte sagte er einem Schreiber vor. Sein Parzival ist eine der tiefsten und gedankenreichsten Schöpfungen mittelalterlich-höfischer Dichtung, die zwischen 1203 und 1210 entsanden sein muss. Im Parzival verschmolz Eschenbach zwei große Sagenkreise: die Sage vom heiligen Gral und die Sage von König Artus und der Tafelrunde. Auch Elemente der Lohengrin-Sage sind hierin angelegt. Die Wandgemälde im Sängersaal von Neuschwanstein zeigen verschiedene Episoden aus dem Parzival-Epos.

Wolfram von Eschenbachs Roman über den "tumben Tor" Parzival, der unter allen Umständen Ritter von König Artus und seiner Tafelrunde werden wollte, gilt als Literaturschlager seiner Entstehungszeit. Mit fast 25.000 Versen ist der "Parzival" das längste deutsche Erzählwerk dieser Epoche und mit über hundert Abschriften auch eines der beliebtesten im Mittelalter. Das liegt vor allem an den Themen, die Wolfram von Eschenbach ansprach:

Es geht um ritterliche Ideale, verwoben mit christlichen Tugenden – um weltliche und religiöse Lebensfragen. Der naive Adlige, der nichts von höfischen Sitten und ritterlichen Idealen weiß und sie erst mühsam erlernen muss, wird nach harten Prüfungen schließlich zum Hoffnungsträger: Er soll eine Welt aus Gewalt und Leid erlösen und christliche Ideale erneuern.

Im Parzival-Epos wuchs der Titelheld ohne Kenntnis seiner adligen Abstammung in der Wildnis auf. Als er Rittern begegnete, machte er sich auf die Reise, selbst ein Ritter zu werden. Sie führte ihn auf die Gralsburg, wo ein neuer Gralskönig gesucht wurde. Doch Parzival stellte nicht die alles entscheidende Frage, die ihn als würdigen Nachfolger für Anfortas erwiesen hätte.

Seine Suche nach dem Heiligen Gral ist zugleich die Suche nach einem gottgefälligen Leben, ohne der Welt zu entsagen. Die Geschichte Wolframs spiegelt die Ordnung in Europa um 1200 wider, mit all ihren Vorstellungen, Tugenden und Werten, aber auch Fehden, Konflikten, Kriegen. In einer Zeit des Umbruchs ist der Roman nicht nur eine kritische Auseinandersetzung mit den historischen Ereignissen jener Epoche, sondern auch die Suche nach einem neuen Selbstverständnis des Ritterstands. Die Kreuzzüge im fernen Orient, der Thronstreit im eigenen Land und das Aufstreben der Ritterorden bilden den Hintergrund, vor dem Parzival seinen Weg zu Gott finden muss, um christlichen Begriffen wie Liebe und Hoffnung neuen Sinn zu verleihen.

Weblink:

Das Parzival-Epos

Montag, 3. Juni 2024

Franz Kafka 100. Todestag

Franz Kafka

Franz Kafka starb vor 100 Jahren am 3. Juni 1924 im Alter von nur 40 Jahren in einem Lungensanatorium in Kierling bei Klosterneuburg in Niederösterreich.

Der Prager Schriftsteller gilt als der wohl rätselhafteste und vielschichtigste Autor der Moderne. Alle seine Prosawerke stellten den Menschen in einer Art Selbstentfremdung dar.

Franz Kafka

Kafka zählt zu den wenigen Autoren des frühen 20. Jahrhunderts, welche den größten Teil ihres literarischen Werkes nicht als freie Schriftsteller, sondern neben einer sie voll in Anspruch nehmenden Berufsarbeit geschrieben haben. Dieser Umstand führte dazu, dass Kafka zeit seines Lebens nicht als Schriftsteller wahrgenommen wurde.

Auch Kafka widerfuhr eine seltsame Verwandlung als Schriftsteller. Bei Tage führte er das Leben eines Versicherungsbeamten, bei Nacht verwandelte er sich während der ekstatischen Exerzitien des Schreibens in den bedeutendsten Schriftsteller des 20. Jahrhunderts.

Wenngleich Kafka seine Arbeit mit bestem Gewissen versah und als zuverlässig und genau galt, waren die Stunden im Büro für ihn eine Belastung. Er sah die Arbeit stets als Hindernis für das Schreiben, dem er meist nachts nachging.

Franz Kafka zeichnete in seinen Romanen das Bild einer düsteren Welt, in der der ohnmächtige Einzelne anonymen, undurchschaubaren Mächten und Machtinstanzen gegenübersteht und denen er ausgeliefert ist. Wie in einem Albtraum bewegen sich Kafkas Protagonisten durch ein Labyrinth undurchsichtiger Verhältnisse und sind anonymen Mächten ausgeliefert.

Die beklemmende Welt der Kafka'schen Protagonisten, die im Bannkreis unsichtbarer, bedrohlicher Mächte leben, ist durch Verstörung und vitale Erschöpfung gekennzeichnet.

Zu Lebzeiten war Kafka der breiten Öffentlichkeit noch weitgehend unbekannt. Seine Skepsis gegenüber seinem Werk und seiner Dichterexistenz überhaupt ging so weit, dass er seinem engsten Freund und Nachlassverwalter Max Brod auftrug, seine unveröffentlichten Texte (darunter alle seine Romane) zu vernichten.

Überzeugt, "daß ich mich mit meinem Romanschreiben in schändlichen Niederungen befinde", hatte Franz Kafka vor seinem Tod, 1924, in "letzter Bitte" an seinen "liebsten" Freund Max Brod verfügt, "alles, was sich in meinem Nachlaß ... findet, restlos und ungelesen zu verbrennen".

Weltweit bekannt wurde Kafkas Werk erst nach dem Zweiten Weltkrieg, zunächst in den USA und Frankreich, in den 1950er-Jahren dann auch im deutschsprachigen Raum.

Heutzutage wird er als einer der wichtigsten Autoren des 20. Jahrhunderts eingeschätzt. Seine Werke wurden in alle Sprachen übersetzt und seine Bücher werden in anerkannten Universitäten analysiert.

Franz Kafka wurde am 3. Juli 1883 im jüdischen Viertel von Prag geboren.


Weblinks:

Franz Kafka-Biografie - www.die-biografien.de


Franz Kafka-Zitate - www.die-zitate.de


Ein Roman als Biografie - oder umgekehrt - www.cicero.de

Onkels Schätze - Literatur Kafka-Nachlass - »DER SPIEGEL«

Samstag, 1. Juni 2024

»An Pfingsten« von Ludwig Amandus Bauer



Um Pfingsten, wenn der Holder blüht,
Will’s Wandern uns gefallen,
Wenn frisch und rot das Röslein glüht,
Und tausend Lieder schallen.

Du Stadt mit deinen Mauern grau,
Ade, wir ziehn ins Weite,
Hoch, über uns der Himmel blau,
Der Frühwind gibt’s Geleite.

Kein Buch, als nur die grüne Flur,
Draus wir in tausend Weisen
Die Wunder lesen der Natur,
In Liedern sie zu preisen.

Kein Hörsaal, als der grüne Wald,
Der blüht und jubilieret,
In Rauschen und Duften tausendfalt
Weltweisheit und doziert.

Kein Karzer, — dass sich Gott erbarm’!
Als hangend, mit Verlangen
Von einem runden Mädchenarm
Recht enge sein gefangen.

Um Pfingsten, wann der Holder blüht,
Will’s Wandern uns gefallen,
Wenn frisch und rot das Röslein glüht
Und tausend Lieder schallen.

»An Pfingsten« von Ludwig Amandus Bauer