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Samstag, 22. Mai 2021

Max Frischs radikale Wahrhaftigkeit


Max Frisch

"Er übt eine Wahrhaftigkeit, die stets auf Kosten der andern geht", heißt es im ersten Tagebuch Max Frischs. 1974 treibt er diese Wahrhaftigkeit zum Außersten.

In "Montauk" beschreibt er einen Ausflug mit seiner Geliebten Alice Locke-Carey (im Buch "Lynn") und gibt radikal offen überweitere Beziehungen Auskunft. Seine Ehe mit Marianne Frisch-Oellers ist danach nicht zu kitten: "Ich habe nicht mit dir gelebt als literarisches Material." Auch Martin Walser macht "Montauk", eine der wunderbarsten Liebesgeschichten, rasend.

In seinem Tagebuch lässt er sich über Frischs "lakonischen Konstatierstil" aus, diesen "lch-nehm-die-Pfeife-nicht-mehr-aus-dem-Mund-Stil". Er habe kein Bedürfnis, Max Frisch überhaupt noch einmal zu sehen.


Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher


Wobei Frisch-Biograf Weidermann anmerkt, Walser sei schlicht neidisch gewesen auf den Freund, dem scheinbar all dies zufiel: Erfolg, eine junge Ehefrau und eine Affäre mit einer jungen Geliebten, die halb so alt ist wie der 63-jährige Autor.

Der 1911 in Zürich geborene Frisch arbeitete zunächst als Architekt, bevor er mit dem Roman "Stiller" im Jahr 1954 erfolgreich war. Fortan konzentrierte er sich auf das Schreiben. Frisch galt als streitbarer Moralist. Seine bekanntesten Stücke für das Theater sind wohl "Biedermann und die Brandstifter" (1958), eine entlarvende Analyse des Spießbürgers, der das Eindringen des Bösen in seine Welt nicht wahrnehmen will, und "Andorra" (1961), das sich mit dem Antisemitismus auseinandersetzt. Nahezu in Vergessenheit geraten ist "Die Chinesische Mauer" (1946), in dem Frisch die menschheitsvernichtende Gefahr der Atombombe in den Mittelpunkt rückt.

Berühmt wurden neben "Stiller" seine Romane "Mein Name sei Gantenbein" (1964) und "Homo Faber" (1957). In letzterem wird der rationalitätsgläubige Ingenieur Walter Faber, geprägt vom technisch-wissenschaftlichen Weltbild, mit der unlogischen Macht des Schicksals konfrontiert und scheitert. Frischs literarische "Tagebücher" (1946-49 und 1966-71) machen einen wesentlichen Bestandteil seines Oeuvres aus. Sie verknüpfen autobiografische und fiktionale Elemente, viele spätere Werke sind hier bereits skizzenartig angelegt. Weitere, 1982 begonnene Aufzeichnungen, wurden unter dem Titel "Entwürfe zu einem dritten Tagebuch" im vergangenen Jahr posthum veröffentlicht.+

Frisch, überzeugt davon, dass Sprache die Wirklichkeit nicht abbilden könne, erhielt zahlreiche bedeutende Preise, darunter 1958 den Georg-Büchner-Preis und 1976 den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. "Stiller" erreichte als erstes Buch des Suhrkamp-Verlages eine Millionenauflage. Die Werke Frischs wurden vielfach übersetzt, am häufigsten "Homo Faber" in 25 Sprachen.

Biografie:


Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher
Max Frisch. Sein Leben, seine Bücher
von Volker Weidermann

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