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Samstag, 18. Juni 2022

Karl Kraus und die Sprache

Karl Kraus war überzeugt, dass sich in jeder kleinsten Unstimmigkeit, die scheinbar eine höchstens lokal und zeitlich begrenzte Bedeutung hat, die großen Übel der Welt und der Epoche offenbaren. So konnte er in einem fehlenden Beistrich ein Symptom für jenen Zustand der Welt erblicken, der einen Weltkrieg erst möglich mache. Eines der Hauptanliegen seiner Schriften war es, mittels solcher kleiner Missstände auf die großen Übel aufmerksam zu machen.

Wichtigster Indikator für die Missstände in der Welt war für ihn die Sprache. In dem nachlässigen Umgang seiner Zeitgenossen mit der Sprache sah er ein Zeichen für den nachlässigen Umgang mit der Welt im Allgemeinen. So konnte Ernst Křenek über Karl Kraus die folgende für ihn typische Äußerung berichten: „Als man sich gerade über die Beschießung von Shanghai durch die Japaner erregte und ich Karl Kraus bei einem der berühmten Beistrich-Probleme antraf, sagte er ungefähr: Ich weiß, daß das alles sinnlos ist, wenn das Haus in Brand steht. Aber solange das irgend möglich ist, muß ich das machen, denn hätten die Leute, die dazu verpflichtet sind, immer darauf geachtet, daß die Beistriche am richtigen Platz stehen, so würde Shanghai nicht brennen.“

Er warf den Menschen seiner Zeit – und unter ihnen nicht zuletzt den Journalisten und Schriftstellern – vor, die Sprache als Mittel zu gebrauchen, das man zu „beherrschen“ glaubt, anstatt sie als Zweck zu sehen und ihr zu „dienen“. Für Kraus ist Sprache kein Mittel, um vorgefertigte Meinungen an den Mann zu bringen, sondern das Medium des Denkens selbst und als solches der kritischen Reflexion bedürftig. Ein wesentliches Anliegen Karl Kraus’ war es darum, in einer „durch und durch journalisierten Zeit, der der Geist zur Information dient und die taube Ohren hat für den Einklang von Inhalt und Form“ seine Leser zu „entjournalisieren“ und zu einem „Verständnis für die Angelegenheit der deutschen Sprache zu erziehen, zu jener Höhe, auf der man das geschriebene Wort als die naturnotwendige Verkörperung des Gedankens und nicht bloß als die gesellschaftspflichtige Hülle der Meinung begreift“.

Wie weit die Sprache seiner Zeitgenossen sich vom Gedanken und von der Vorstellung des Gesprochenen entfernt hat, wird in den sinnentleerten Phrasen offenbar, deren Metaphorik aus längst vergangenen Zeiten stammt – wenn etwa im April 1914 in der Fackel zitiert wird: „‚Der Autor ist entschieden ein gründlicher Kenner internationaler Marineverhältnisse und hat in unterschiedlichen Broschüren manche Lanze für die Verstärkung der Seemacht unseres Vaterlandes gebrochen.‘ Wiewohl solche nicht einmal mehr zu Lande verwendet werden.“

Die Sprache lasse sich nicht völlig vom Menschen in den Dienst seiner Absichten stellen, sondern zeige noch in ihrer verstümmeltsten Form die wahren Zustände in der Welt auf. So wiesen beispielsweise die Kriegsgewinnler unbewusst auf das grausame Schlachten während des Krieges hin, wenn sie den Krieg als „Mordshetz“ (österreichisch: großer Spaß) bezeichneten.

Diese Fixierung auf die „richtige Sprache“ wurde von vielen Zeitgenossen zumindest als schrullig und oberflächlich angesehen. Indem er in der Presse und der „literarischen Unterwelt“ den Hauptfeind ausmachte, blieben andere gesellschaftliche und kulturelle Felder bei ihm unscharf, was sich auch in seiner schwankenden politischen Haltung (zeitweise sympathisierte er mit der Sozialdemokratie, zeitweise mit dem Erzherzog Franz Ferdinand) ausdrückt. Albert Fuchs – ursprünglich ein Verehrer Kraus’ – brachte es folgendermaßen auf den Punkt: Sie [Karl Kraus’ Philosophie] forderte, dass ich anständiges Deutsch redete. Sonst forderte sie nichts.

Wortspiele mit und über Namen beherrschte Karl Kraus meisterlich. Die Inhaftierung des betrügerischen Bankiers Reitze glossierte er wie folgt: „Die Strafanstalt Stein entbehrt nicht eines gewissen Reitzes“. In seinen früheren Jahren umwarb er die junge Schauspielerin Elfriede Schopf, die sich allerdings in den festen Händen des Burgtheaterhelden Adolf von Sonnenthal befand. Die Nachricht von dessen plötzlichem Tod entlockte ihm den Ausruf: „Jetzt müsste man die Schopf bei der Gelegenheit packen!“. Die manchmal nicht leicht verständlichen Verlautbarungen kommunistischer Parteien kommentierte er als „Moskauderwelsch“

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